Kiew. . Im ukrainischen Bürgerkriegsgebiet entfaltet sich grausame Unberechenbarkeit. Reporter müssen mit Beschimpfungen, Prügel und sogar mit Morddrohungen rechnen, wie unser Autor erleben musste. Sein russischer Kollege wurde entführt und misshandelt - und am Ende war's ein schmutziges Geschäft.

Der Lauf der Kalaschnikow schwenkt Richtung Pawel. „Wo ist deine Pressekarte?“ bellt der klotzige Kämpfer, den sie Leonidowitsch nennen. „Ich schieß dir ein Loch in die Brust.“ Er meint meinen Reisegefährte, den russischen Reporter Pawel Kanygin, 25.

11 Uhr nachts in Artjomowsk, Region Donezk, Ostukraine. Etwa 50 Leute, die vor dem „Klub der Veteranen und Jugend“ auf die Urnen aus den anderen Wahllokalen gewartet haben, toben. „Schmierfink!“ „Missgeburt“ „Faschist!“

Die Leute hassen Pawel

Der Tag war mühsam. Kaum Schlaf im Nachtzug aus Odessa, in Gorlowka in ein Taxi, Straßensperren, die ersten Kalaschnikows, dann Wahllokale in Artjomowsk, heute lässt die separatistische „Volksrepublik Donezk“ über eine Abspaltung von der Ukraine abstimmen. Die Interviews fließen zäh, die Leute fragen misstrauisch, ob ich auch so ein EU-Anhänger sei. Ich schreibe eine hastige Reportage, Pawel, der erst morgen Redaktionsschluss hat, platziert derweil Fotos aus den Wahllokalen auf Facebook, und Kommentare dazu.

Die Leute von dem Klub aber haben seine Facebook-Seite entdeckt. „Warum hast du geschrieben“, ruft ein junger Mann, „unsere Wahlzettel sähen aus wie Fotokopien?“ „Und wieso schreibst Du, der Bürgermeister, dieser Dreckskerl, der unser Referendum verbieten wollte, sei kühn?“ Pawel aber wehrt sich. „Leute, das ,kühn’ ist doch ironisch gemeint.“

Ich bin eingekreist

Auch ich bin eingekreist, ein Mann erinnert sich, dass seine Großväter gegen die Deutschen gekämpft hat: „Ich geh mit dir um die Ecke und knall dich ab.“ Jemand ruft dazwischen: „Lasst Stefan in Ruhe, der schreibt ordentlich.“

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Die Leute hassen Pawel, nicht mich. Außer im Facebook schreibt er für die Moskauer Oppositionszeitung „Nowaja Gaseta“.

Einer der wenigen russischen Reporter, der die prorussischen Separatisten offen kritisiert. Schlimmer noch, er kritisiert sie auf Russisch.

„Du kommst jetzt in den Keller“

Der Kreis um Pawel wird immer lauter, immer enger, er wird gestoßen, eine 57jährige Wahlhelferin, die nachmittags noch mit ihrer Stupsnase kokettiert hat, brüllt ihm ins Gesicht: „Meine Söhne sterben da draußen für die Freiheit und du Dreckskerl schreibt sowas.“ In den Köpfen der Leute herrscht Krieg, und Krieg erdrückt bekanntlich alle Duldsamkeit. Leonidowitsch, der eigentlich die eintreffenden Wahlurnen beschützen soll, packt Pawel, zerrt ihn in einen Pkw. „Du kommst jetzt nach Slawjansk, in den Keller.“

In der Separatistenhochburg Slawjansk halten die Rebellen nach verschiedenen Angaben 14 bis 40 Leute gefangen. Dorthin verschleppten sie sieben OSZE-Militärbeobachter, fünf ukrainische Journalisten, einen US-israelischen Journalist, die Leichen zwei proukrainischer Aktivisten wurden in der Umgebung entdeckt. Im ukrainischen Donbass entfaltet sich eine grausame Unberechenbarkeit.

Sie drohen, ihn umzubringen

Aber sie bringen Pawel nur bis zur nächsten Straßensperre bei Wolodarka. Dort verhört und beschimpft man ihn, zieht ihn aus, schlägt ihn, droht, ihn kaltzumachen.

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Ich sitze im Hotel, gegen 3 Uhr nachts klingelt das Handy: Pascha. Er fragt, ob ich 1000 Dollar auftreiben kann. Ich habe 550 Euro, fehlen noch 200 Euro. Ich haste in die Nacht hinaus, die Geldautomaten streiken, aber der Apparat der „Russischen Sparkasse“ spuckt 4000 Hriwnja aus.

Vor dem Hotel stehen Pascha und ein kleiner maskierter Mann mit blanker Pistole in der Hand. Ich reiche ihm das Geld, er betrachtet skeptisch den zerknitterten 500-Euroschein. „Wir übergeben Pascha den Jungs in Gorlowka“, sagt er. „Von dort wird er nach Donezk gebracht.“ Mir scheint, das Schlimmste sei überstanden.

Rebellen fordern noch mehr Geld

Noch ein Irrtum. Statt Pascha freizulassen, verlangen die Rebellen kurz darauf 30.000 Dollar von Pawels Moskauer Redaktion. Der Chefredakteur sagt mir am Telefon, er fliege nach Donezk, aber vorher habe er noch Gespräche in Moskau. Es sind erfolgreiche Gespräche. Gegen 12 Uhr mittags ruft mich Pascha an: Er sei gerade in einem Donezker Hotel aufgewacht, seine Entführer hätten ihm wohl etwas in das Glas Mineralwasser geschüttet, dass sie ihm aufnötigten.

Außer Urnenwächter Leonidowitsch hat sich ein kompletter Kontrollpunkt der „Volksrepublik Donezk“ an Pawels Gefangennahme beteiligt. Und die Frage keimt, wieviel Geld hier schon für freigelassene Geiseln geflossen ist.

Sie haben Pawel malträtiert und ausgeraubt, eine Nacht lang auf seiner Psyche herumgetrampelt. „Das war ganz schön viel Adrenalin, aber ich hatte immer noch Reserven“, Paschas lächelt schon wieder. „Nur dumm, dass sie mir einen Zahn entzwei gehauen haben.“