Mariupol. Bei kämpferischen Auseinandersetzungen in der ukrainischen Stadt Mariupol hat es am Freitag mehrere Tote und Verletzte gegeben. Neue Gefechte gab es auch in Donezk und Slawjansk. Werden die Rebellen ihr für Sonntag geplantes Referendum durchführen? Kiew scheint außer Stande, das zu verhindern.

Ein Blutbad mit knapp zwei Dutzend Toten hat die Stimmung vor der Volksbefragung über eine Abspaltung der Ostukraine vom Rest des Landes weiter aufgeheizt. Nach Angaben der Behörden starben bei Gefechten in der Großstadt Mariupol mindestens sieben Menschen, knapp 50 wurden verletzt. Ursprünglich waren mindestens 20 Tote gemeldet worden. Auch aus Donezk gab es Berichte über ein Gefecht, bei dem mehrere Menschen verletzt worden seien. Am Abend wurden auch Schießereien aus Slawjansk gemeldet. In der ganzen Region bereiteten Separatisten unbeirrt ihr für Sonntag geplantes Referendum vor - ungeachtet einer Bitte des russischen Präsidenten Wladimir Putin um Verschiebung.

Der Kremlchef sendete nach zuletzt mäßigenden Tönen ein provozierendes Signal Richtung Kiew und den Westen: Im Anschluss an die traditionelle Militärparade in Moskau zum Tag des Sieges über Nazi-Deutschland reiste er demonstrativ auf die abtrünnige ukrainische Schwarzmeerhalbinsel Krim, die Russland im März annektiert hatte.

Putin spricht von "historischer Wahrheit"

Mit diesem - international nicht anerkannten - Schritt sei die "historische Wahrheit" wiederhergestellt, sagte Putin in einer kurzen Ansprache im Hafen von Sewastopol. Dort nahm er eine Parade von zehn Kriegsschiffen sowie 70 Kampfflugzeugen und Hubschraubern zum Tag des Sieges über Nazi-Deutschland ab.

Die USA kritisierten Putins Besuch auf der Krim als "provokativ und unnötig". "Die Krim gehört zur Ukraine", sagte Außenamtssprecherin Jen Psaki weiter. Die USA würden die "illegalen Schritte" Moskaus nicht anerkennen, sagte sie mit Blick auf die russische Annexion der von Kiew abtrünnigen Halbinsel.

Für die Nato ist die Krim ukrainisches Gebiet

Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen nannte Putins ersten Besuch auf der Krim mitten im Ukraine-Konflikt "unangemessen". Die Krim sei nach internationalem Recht weiterhin ukrainisches Gebiet. Die Führung in Kiew sprach von einer "Provokation" und "unverhohlenen Respektlosigkeit", der Chef des Auswärtigen Ausschusses im EU-Parlament, Elmar Brok (CDU), wertete die Visite als Zeichen der Destabilisierung.

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Die Europäische Union plant eine Verschärfung ihrer Sanktionen gegen Russland. Nach Angaben von Diplomaten werden die 28 EU-Außenminister am Montag in Brüssel voraussichtlich zusätzliche Einreiseverbote und Kontensperrungen beschließen. Zudem sollen künftig nicht nur Personen, sondern auch Organisationen und Unternehmen von Sanktionen getroffen werden können. Diplomaten betonten, dies habe nichts mit möglichen tiefgreifenden Wirtschaftssanktionen zu tun, die die EU Moskau bei weiterer Eskalation der Lage in der Ukraine androht.

Kiew entgleitet die Kontrolle - trotz seiner Offensive

In den Regionen Donezk und Lugansk in der Ostukraine ist den Behörden die Kontrolle trotz der seit Tagen andauernden "Anti-Terror-Operation" der Armee weitgehend entglitten. Prorussische Separatisten riefen dort zwei "Volksrepubliken" aus.

Mehr als drei Millionen Menschen in den russisch geprägten Gebieten Donezk und Lugansk sollen am Sonntag entscheiden, ob sie eine Abspaltung vom Rest des Landes unterstützen. Gestellt wird die Frage nach einer staatlichen Eigenständigkeit der Region. Die Bundesregierung, die Europäische Union und die USA lehnen die Abstimmung ab, ebenso die offiziellen Vertreter der Zentralregierung. Sie setzen vielmehr auf die Präsidentenwahl am 25. Mai.

Die Behörden sind machtlos gegen die Separatisten

Nach Angaben lokaler ukrainischer Behörden fehlen Einsatzkräfte, um das Referendum zu verhindern. Das Bürgermeisteramt von Donezk teilte mit, aus Sicherheitsgründen werde nicht versucht, die Separatisten von der Einrichtung von Wahlbüros etwa in Schulen abzuhalten.

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Allen Mäßigungsappellen zum Trotz ordnete die Regierung in Kiew indes an, dass ihre Soldaten die Separatisten weiter bekämpfen sollen. Übergangspräsident Alexander Turtschinow und Ministerpräsident Arseni Jazenjuk lehnten eine Beteiligung der Separatisten an Gesprächen etwa an einem Runden Tisch erneut ab.

Kiew signalisiert am Abend Entgegenkommen

Beide bekannten sich am Donnerstagabend dennoch zu einem "nationalen Konsens" über Schlüsselfragen wie eine Dezentralisierung der Macht, eine Reform des Sicherheits- und Justizapparats sowie der Schutz der Minderheiten. Überwachen solle dies die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). Ein Führungsmitglied der Separatisten betonte allerdings nach der neuen Gewalt in Mariupol, von einem friedlichen Dialog könne nun keine Rede mehr sein.

US-Außenminister John Kerry telefonierte erneut mit seinem russischen Kollegen Sergej Lawrow und forderte eine Deeskalation, die Entwaffnung der Separatisten und eine Räumung besetzter Gebäude. Der Westen erwartet von Moskau, mäßigend auf die Aktivisten einzuwirken.

Linkspartei macht der Bundesregierung schwere Vorwürfe

Die Linkspartei gibt der schwarz-roten Bundesregierung eine Mitschuld an der Zuspitzung des Konflikts. Deutschland müsse auf jede "weitere Eskalation verzichten", heißt es in einem Vorstandsbeschluss für den Bundesparteitag am Wochenende in Berlin. "Während Putin dazu auffordert, das Referendum abzusagen, gibt es von Seiten der Nato und der EU Säbelrasseln, Truppenverlegungen, Rufe nach verschärften Sanktionen", sagte die Wortführerin des linken Flügels und scheidende Vize-Parteichefin Sahra Wagenknecht der Nachrichtenagentur dpa.

Im Falle harter Wirtschaftssanktionen gegen Moskau erwartet die EU-Kommission nach einem Medienbericht einen Einbruch der Konjunktur in Deutschland. Im schlimmsten Fall könnte das Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um 0,9 Prozentpunkte und 2015 um 0,3 Punkte sinken, berichtet "stern.de" unter Berufung auf einen vertraulichen Bericht der EU-Kommission. Diese hatte auf Bitten der Staats- und Regierungschefs Szenarien für alle 28 Mitgliedstaaten durchgespielt.

Das Thema Ukraine spielt auch beim zweitägigen Treffen von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit dem französischen Staatspräsidenten François Hollande eine Rolle, das am Freitag in Stralsund begann. (dpa)