Moskau/Slawjansk. Bislang war es vergleichsweise ruhig in Odessa. Doch am Freitag kamen hier über 30 Menschen ums Leben. Es war der Tag, an dem eigentlich alle Augen auf die Stadt Slawjansk gerichtet waren, wo ukrainische Truppen eine Offensive gegen die Rebellen fuhren - und eine unangenehme Überraschung erlebten.
In scharfem Ton hat Russland die ukrainische Regierung verantwortlich gemacht für die schweren Ausschreitungen mit mindestens 46 Toten in der Schwarzmeerstadt Odessa. "Die Hände der Führung in Kiew stecken bis zum Ellbogen in Blut", sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Samstag der Agentur Interfax zufolge in Moskau. Er forderte die ukrainische Regierung auf, die für 25. Mai geplante Präsidentenwahl abzusagen. Eine Abstimmung vor dem Hintergrund von Gewalt sei "Unsinn". Russland erhalte "tausende Hilferufe" aus dem krisengeschüttelten Osten des Nachbarlandes. "Es ist der Schrei der Verzweiflung und die Bitte um Hilfe", sagte er.
Ukrainische Sicherheitskräfte haben am Samstag ihren "Anti-Terror-Einsatz" gegen prorussische Separatisten im krisengeschüttelten Osten des Landes fortgesetzt. In der Stadt Slawjansk sei mindestens ein Aktivist erschossen worden, zehn weitere hätten Verletzungen erlitten, teilten die moskautreuen Protestführer mit. Innenminister Arsen Awakow zufolge verstärkten die Einheiten eine Offensive bei der benachbarten Stadt Kramatorsk. Nach Schusswechseln seien mehrere Menschen in Krankenhäuser gebracht worden, berichtete das russische Fernsehen.
Tote bei Feuer in Gewerkschaftsgebäude
Am Freitag waren bei einem durch schwere Straßenschlachten verursachten Gebäudebrand in der südukrainischen Stadt Odessa Dutzende Menschen ums Leben gekommen. Das Feuer sei im zentralen Haus der Gewerkschaften ausgebrochen, teilte die Polizei am Freitag nach Angaben der Agentur Interfax mit. Über Stunden hatten sich zuvor ukrainische und prorussische Aktivisten Straßenschlachten geliefert. Schon dabei waren nach Polizeiangaben mindestens vier Menschen ums Leben gekommen. In der Millionenstadt Odessa, der wichtigsten Hafenstadt der Ukraine, war es in den vergangenen Wochen vergleichsweise ruhig geblieben, während das Regierungslager und prorussische Rebellen in anderen Städten heftig aufeinanderprallten.
Am Freitag hatte die Kiewer Regierung die Rebellen in der ostukrainischen Stadt Slawjansk angegriffen. Kiew spricht von einem "Anti-Terror-Einsatz" gegen prorussische Aktivisten. Der kommt allerdings langsamer voran als erwartet. Die Operation gehe "nicht so schnell voran wie wir uns das wünschen", sagte Übergangspräsident Alexander Turtschinow am Freitag einer Mitteilung zufolge. Grund sei, dass die "Terroristen" sich in bewohnten Gebieten verschanzten und Zivilisten als Schutzschilde missbrauchten. Die Einsatzkräfte hätten aber alle Stellungen um die Stadt herum in ihre Gewalt gebracht und dem Gegner "schwere Verluste" zugefügt, behauptete Turtschinow. Auf eigener Seite seien zwei Soldaten getötet und sieben verletzt worden.
Moskau wirft Kiew Bruch des Genfer Abkommens vor
Kremlchef Wladimir Putin hat der ukrainischen Regierung vorgeworfen, mit dem Einsatz gegen moskautreue Aktivisten die "letzte Hoffnung" auf die Umsetzung des Genfer Abkommens zu zerstören. Die Führung in Kiew habe in den Kampfmodus geschaltet und greife friedliche Siedlungen an, sagte Putins Sprecher nach Angaben russischer Agenturen. Er sprach von einer "Strafaktion" der Regierungstruppen. Es gebe "mehrere Tote" auf ihrer Seite, sagte ein Sprecher der moskautreuen Kräfte am Freitag..
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Putin habe gewarnt, bei einer solchen Operation würde es sich um ein Verbrechen handeln. "Leider bestärkt die Entwicklung seine Einschätzung völlig", sagte der Sprecher. Putin habe am Vorabend den früheren Menschenrechtsbeauftragten Wladimir Lukin als Sonderbeauftragten in die Region geschickt. Seit Beginn der ukrainischen Offensive sei der Kontakt zu Lukin aber abgebrochen.
Nicht Gebrauch von der Vollmacht machen
Die Führung in Kiew befürchtet, dass Putin seine Truppen in die Ost- und Südukraine einmarschieren lassen könnte - unter dem Vorwand, russische Bürger oder Interessen dort zu schützen. Ein Mandat für diesen Fall hatte sich der Präsident bereits vom Parlament geben lassen. Allerdings hatte er betont, er hoffe, von dieser Vollmacht nicht Gebrauch machen zu müssen.
Slawjansk wird seit Wochen von der "Volksmiliz" kontrolliert. Seit einer Woche halten "Bürgermeister" Ponomarjow und seine Kämpfer dort mehrere Militärbeobachter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) fest, darunter vier Deutsche. Die prowestliche Führung in Kiew hatte in der russisch geprägten Region einen "Anti-Terror-Einsatz" gegen die Separatisten angeordnet. Bislang hatte die Offensive aber keine Erfolge gebracht. (dpa)