Ukraine wirft Russland vor "dritten Weltkrieg" anzuzetteln
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Washington/Moskau. Die Lage in der Ostukraine spitzt sich zu. Regierungstruppen haben bei Gefechten mehrere prorussische Separatisten getötet. Russland hat darauf mit einem Großmanöver reagiert. Die USA drohen Moskau derweil mit Konsequenzen. Neue Sanktionen werden immer wahrscheinlicher.
US-Außenminister John Kerry hat das Verhalten Russlands in der Ukraine-Krise als "Sabotage" gebrandmarkt. Sollte Moskau seinen Kurs nicht ändern, werde sich dies als "teurer Fehler" erweisen, warnte Kerry am Donnerstag in Washington und drohte zugleich mit neuen Sanktionen. Während Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) offenbar einen neuen Vermittlungsversuch startete, rief UN-Generalsekretär Ban Ki Moon die Konfliktparteien eindringlich zur Zurückhaltung auf.
Der ukrainische Regierungschef Arseni Jazenjuk warf Russland vor, einen "dritten Weltkrieg" anzetteln zu wollen. Das "aggressive" Vorgehen der russischen Armee in der Ukraine werde zu einem Konflikt auf europäischem Territorium führen, sagte er am Freitag bei einem Kabinettstreffen, das im Fernsehen übertragen wurde. Die Welt habe den Zweiten Weltkrieg noch nicht vergessen, und Moskau wolle einen dritten Weltkrieg beginnen.
John Kerry warnte Russland: "Lassen Sie es mich ganz klar sagen: Wenn Russland so weiter macht, wird das nicht nur ein schwerer Fehler sein, sondern auch ein teurer Fehler", sagte Kerry. Ganz offensichtlich mit Blick auf weitere Sanktionen fügte der US-Chefdiplomat hinzu: "Wir sind bereit zum Handeln."
Moskau habe nicht "einen einzigen Schritt" zur Umsetzung der in der vergangenen Woche in Genf geschlossenen Ukraine-Vereinbarung gemacht, kritisierte Kerry. "Sieben Tage lang hat Russland sich geweigert, auch nur einen einzigen Schritt in die richtige Richtung zu gehen. Nicht ein einziger russischer Offizieller ist öffentlich im ukrainischen Fernsehen aufgetreten und hat die Separatisten aufgerufen, den Aufstand zu beenden, die Waffen abzugeben und die ukrainischen Gebäude zu verlassen."
Statt positiver Maßnahmen versuche Russland "lauthals, den demokratischen Prozess in der Ukraine zu sabotieren", sagte Kerry weiter. Im Gegenzug dazu habe die ukrainische Übergangsregierung in Kiew "vom ersten Tag an" ihre Zusagen von Genf gehalten.
Vereinbarung bisher nicht umgesetzt
Der US-Außenminister, sein russischer Kollege Sergej Lawrow, der amtierende ukrainische Außenminister Andrej Deschtschyzja und die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton hatten vor einer Woche in Genf ein Abkommen ausgehandelt, das die "Entwaffnung illegaler bewaffneter Gruppen" in der Ukraine sowie die Räumung besetzter Gebäude vorsieht. Diese Vereinbarung wurde bisher nicht umgesetzt, stattdessen kam es in den vergangenen Tagen zu zunehmender Gewalt.
Unter anderem gingen die ukrainischen Streitkräfte am Donnerstag in Slawjansk im Osten des Landes massiv gegen prorussische Kräfte vor. Bei den Gefechten gab es nach Angaben aus Kiew mehrere Tote in den Reihen der prorussischen Kämpfer. Als Reaktion auf den Militäreinsatz ordnete Russland neue Militärmanöver an der Grenze zur Ukraine an. Kremlchef Wladimir Putin verurteilte den Einsatz der ukrainischen Armee im Inland als "sehr ernstes Verbrechen", das Folgen für die Regierung in Kiew haben werde.
Verwaltungsgebäude in mehreren Orten besetzt
In der Ostukraine halten moskautreue Separatisten in mehreren Orten Verwaltungsgebäude besetzt. Sie fordern eine weitgehende Autonomie für das russisch geprägte Gebiet. Die vom Westen unterstützte Regierung in Kiew geht militärisch gegen die zum Großteil bewaffneten Milizen vor und spricht von einer "Anti-Terror-Operation". Spezialeinheiten hatten am Donnerstag nach Angaben des Kiewer Innenministeriums nahe der Stadt Slawjansk in einem Gefecht fünf prorussische Separatisten erschossen.
Der russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu nannte die Lage in der Ostukraine laut Agentur Interfax besorgniserregend. Es seien 11.000 ukrainische Soldaten im Einsatz gegen eine "friedliche" Bevölkerung. "Wenn diese Kriegsmaschine heute nicht gestoppt wird, dann wird dies zu einer großen Zahl Toter und Verletzter führen", warnte er.
Runde Tische mit den Konfliktparteien einrichten
Angesichts der Eskalation startete Steinmeier einem Zeitungsbericht zufolge einen neuen Versuch zur Rettung des Genfer Abkommens. In einem Schreiben an den amtierenden OSZE-Chef Didier Burkhalter forderte er nach Angaben der "Süddeutschen Zeitung" eine stärkere Vermittlungsrolle der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa. Die OSZE unterhält bereits eine Beobachtungsmission in der Ukraine. Nun könnte sie den Vorstellungen Steinmeiers zufolge beispielsweise runde Tische mit den Konfliktparteien einrichten.
Von "zentraler Bedeutung" sei, dass die vier Unterzeichner des Genfer Abkommens eine "sichtbare politische Rückendeckung" zeigten, schrieb Steinmeier den Angaben zufolge. Dies könne etwa "durch gemeinsame hochrangige Reisen im Vierer-Format nach Kiew, in den Osten und den Westen des Landes" geschehen. Das Schreiben an Burkhalter ging der "SZ" zufolge in Kopie auch nach Washington, Moskau, Brüssel und Kiew.
UN-Generalsekretär Ban zeigte sich derweil "zutiefst besorgt", dass die Krise in der Ukraine "außer Kontrolle" geraten und zu "nicht vorherzusehenden Konsequenzen" führen könne. "Militärische Aktionen müssen um jeden Preis verhindert werden", erklärte sein Sprecher. (afp/dpa)
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