Berlin. . DGB-Chef Michael Sommer tritt im Mai ab. Im Interview zieht er Bilanz und erneuert seine Forderung, große Vermögen intensiver zu besteuern. Und beim Thema Mindestlohn macht der Gewerkschafter keine Kompromisse: 8,50 Euro möglichst schnell und für jeden Arbeitnehmer.

DGB-Chef Michael Sommer tritt im Mai ab. Über den künftigen Kurs der Gewerkschaft sprachen mit ihm Christian Kerl und Miguel Sanches.

Herr Sommer, die Vermögen in Deutschland sind so ungleich verteilt wie sonst nirgends in der Euro-Zone. Was haben die Gewerkschaften falsch gemacht?

Michael Sommer: Es ist ein Irrglauben zu meinen, man könnte allein mit Tarifpolitik grundlegende Verteilungsfragen klären. Das wichtigste Instrument zur Korrektur von Verteilungsungerechtigkeiten ist die Steuerpolitik. Wir brauchen eine Besteuerung großer Vermögen und großer Erbschaften, außerdem muss endlich die Finanztransaktionssteuer eingeführt werden. Dann ließen sich auch Ungerechtigkeiten im Einkommensteuersystem beseitigen: Dass Arbeitnehmer sprunghaft höher besteuert werden, wenn sie zum Beispiel durch Überstunden oder Prämien mehr Geld bekommen, ist nicht gerecht.

Sie meinen die kalte Progression…

Sommer: Die ließe sich abmildern, wenn im Gegenzug Vermögen höher besteuert werden. Eine solche Gegenfinanzierung ist aber notwendig.

Vor der Wahl waren höhere Steuern ein großes Thema für SPD wie Gewerkschaft. Hat die SPD in den Koalitionsverhandlungen gekniffen?

Sommer: Die SPD hatte angesichts des Wahlergebnisses in den Koalitionsverhandlungen steuerpolitisch keine Chance. Aber ich bin sicher: Die Steuerfrage wird sich noch in dieser Wahlperiode für die Regierung stellen, weil wir vielfach auf Verschleiß leben – bei Bildung und Infrastruktur zum Beispiel, aber auch für die Pflege oder die Mütterrente wird mehr Geld benötigt. Ich erwarte, dass die Koalition dann nicht die Mehrwertsteuer erhöht, sondern große Vermögen stärker belastet.

Arbeitsministerin Andrea Nahles bereitet das Mindestlohn-Gesetz vor. Was sagen Sie ihr?

Sommer: Dass die Gewerkschaften nicht bereit sind, irgendeine Aufweichung des Mindestlohns mitzumachen. Weder für Jung oder Alt noch irgendeine Branche oder Region. Für uns gilt: Arbeit ist Arbeit und muss mit mindestens 8,50 Euro in der Stunde entlohnt werden. Der Kompromiss im Koalitionsvertrag muss eingehalten werden, wir lassen uns nicht hinter die Fichte führen mit Ausnahmeregelungen.

Was ist mit Minijobbern oder mit Langzeitarbeitslosen, denen der Mindestlohn den Einstieg in Arbeit womöglich erschwert? Sehen Sie da keine Probleme?

Sommer: Ich spüre förmlich, wie von der Wirtschaft versucht wird, den Koalitionskompromiss kaputt zu schießen. Da werden jetzt Teilprobleme hochgeredet und immer neue Ausnahmen verlangt, um das ganze Vorhaben kaputt zu machen. Wir werden über Detailfragen noch diskutieren müssen, zum Beispiel wie wir die Mindestlohnfrage bei Strafgefangenen oder Beschäftigten in Behindertenwerkstätten handhaben. Aber wenn jetzt zum Beispiel Belastungen für das Ehrenamt beklagt werden, weil viele Ehrenamtliche aus steuerlichen Gründen als Minijobber honoriert werden, dann ist für mich die Lösung klar: Ehrenamtliches Engagement muss in der Steuergesetzgebung anders behandelt werden. Aber jeder Minijob ist Arbeit und muss mit mindestens 8,50 Euro bezahlt werden. Wir verfolgen diese Debatte jetzt seit Monaten – und wir sind entschlossen, uns zu wehren.

Was wollen Sie tun?

Sommer: Der DGB-Vorstand hat beschlossen, eine neue, bundesweite Mindestlohnkampagne zu führen, bis das Gesetz in Kraft ist – von Plakaten über Infostände bis zu Gesprächen mit Abgeordneten. Das haben wir der Kanzlerin, dem Vizekanzler und der Arbeitsministerin schon angekündigt. Jeder weiß: wir können mobilisieren und wir sind im Notfall steigerungsfähig. Es geht um eine zentrale Forderung der Gewerkschaftsbewegung. Ich bin wild entschlossen, den Mindestlohn jetzt durchzubringen.

Ist auf die Kanzlerin Verlass?

Sommer: Ich habe acht Jahre mit der Kanzlerin in vielen Fragen zusammengearbeitet: Wir sprechen nicht nur freundlich miteinander, sondern Klartext, aber die Verabredungen haben immer gehalten. Ich habe keinen Grund daran zu zweifeln, dass es diesmal genauso ist. Kanzlerin und Vizekanzler habe ich vor Kurzem noch einmal gefragt, ob der Kompromiss zum Mindestlohn gilt – beide haben mir das zugesagt.

Kritiker warnen, die Einhaltung des Mindestlohns könne gar nicht kontrolliert werden…

Sommer: Deshalb fordern wir zur besseren Durchsetzung die Einrichtung einer Telefon-Hotline, bei der Verstöße gemeldet werden können. In Großbritannien gibt es das, jeder Betroffene oder jeder Betrieb, dessen Konkurrent keinen Mindestlohn zahlt, kann anonym bei einer Hotline anrufen. Die gehen der Anzeige nach. Wir fordern von der Bundesregierung, eine solche Hotline etwa bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit einzurichten.

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Das ist für Deutschland Neuland, aber wir wollen, dass der Mindestlohn nicht nur eingeführt, sondern auch gezahlt wird. In Großbritannien funktioniert es sehr gut, dort gab es im Vorjahr nur tausend Hinweise – denn jeder weiß, dass Verstöße auffliegen und geahndet werden.

Der Mindestlohn soll bis Ende 2017 eingefroren werden. Ist das zu lang?

Sommer: Damit sind wir nicht einverstanden. Die erste Anpassung des Mindestlohns sollte nach einem Jahr Erfahrung, also Ende 2015, beschlossen werden. Der Mindestlohn muss in dieser Wahlperiode ein- oder zweimal erhöht werden, alles andere wäre politisch nicht durchzuhalten.

Sie geben im Mai nach zwölf Jahren den DGB-Vorsitz ab. Wie fällt Ihre Bilanz aus, was hat sich geändert?

Sommer: Wir stehen besser da. Die Gewerkschaftsbewegung ist in guter Verfassung. Sie ist einig, hat einen Mitgliederzuwachs, ihr wird eine Zukunft zugetraut. Das war 2002 anders, da galten wir als zerstritten und von gestern, wegen der Massenarbeitslosigkeit verloren wir Mitglieder. Durch die Auseinandersetzungen um die Agenda 2010 ist noch einmal klar geworden, wie wichtig parteipolitische Unabhängigkeit der Einheitsgewerkschaften ist – wir sind kein Vorhof von Parteien. Dazu habe ich sicher auch beigetragen.