Moskau/Kiew. Wladimir Putin hat in einer Fernseh-Ansprache am Donnerstag eine militärische Intervention in der Ukraine nicht ausgeschlossen. Am Abend dann die Überraschung: Beim Gipfel in Genf einigten sich beide Seiten auf einen Friedensfahrplan. Die Separatiste in der Ost-Ukraine sollen entwaffnet werden.
Die Teilnehmer der internationalen Ukraine-Konferenz in Genf haben ein sofortiges Ende der Gewalt in dem osteuropäischen Land und eine Entwaffnung illegaler Gruppen gefordert. "Alle Seiten müssen jede Form der Gewalt, Einschüchterung und provozierende Handlungen unterlassen", hieß es in einer am Donnerstagabend veröffentlichten Erklärung der USA, Russlands, der Ukraine und der EU. Es war das erste direkte Aufeinandertreffen ukrainischer und russischer Regierungsvertreter seit Ausbruch der Krise.
"Alle illegalen bewaffneten Gruppen müssen entwaffnet, alle illegal besetzten Gebäude ihren rechtmäßigen Eigentümern zurückgegeben werden", hieß es in der nach stundenlangen Beratungen verabschiedeten Erklärung weiter. Zugleich wurde ein "breiter nationaler Dialog" gefordert. Eine Beobachtergruppe der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) solle eine führende Rolle bei der Umsetzung der deeskalierenden Maßnahmen übernehmen. Russlands Außenminister Sergej Lawrow sagte, alle Seiten seien sich einig gewesen, Schritte zur Entspannung der Lage zu unternehmen.
Putin droht mit militärischer Intervention
Zeitgleich mit den Krisengesprächen in Genf hat der russische Präsident Wladimir Putin offen von der Möglichkeit einer militräischen Intervention in dem Nachbarland gesprochen. Er hoffe, nicht von seinem "Recht" zur Entsendung der Armee Gebrauch machen zu müssen, sagte Putin am Donnerstag im Fernsehen. Die lange erwarteten Genfer Gespräche wurden überschattet von Kämpfen zwischen Armee und Milizen in der südostukrainischen Hafenstadt Mariupol.
"Ich hoffe sehr, dass ich nicht von dem Recht Gebrauch machen muss", die Armee in die Ukraine zu schicken, sagte Putin. Er spielte damit darauf an, dass das Parlament ihm am 1. März das "Recht" zur Entsendung von Truppen in die Ukraine gegeben hatte. Der Regierung in Kiew warf er vor, das Land in den "Abgrund" zu führen. Er forderte Garantien zum Schutz der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine und drängte zur Aufnahme eines "Dialogs".
Putin gibt zu, dass russische Soldaten auf der Krim waren
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Vorwürfe, dass russische Spezialkräfte in der Ukraine im Einsatz seien, bezeichnete Putin als "Unsinn". Es handele sich bei den bewaffneten prorussischen Gruppen allein um "örtliche Bürger".
Allerdings gab Putin erstmals zu, dass russische Soldaten während des umstrittenen Referendums auf der ukrainischen Halbinsel Krim Mitte März vor Ort waren. Diese hätten eine "faire Wahl" ermöglichen sollen. Bisher hatte Moskau die Entsendung von Soldaten stets bestritten.
In Genf kamen am Donnerstagmittag der russische Außenminister Sergej Lawrow mit seinem ukrainischen Kollegen Andrej Deschtschyzja sowie US-Außenminister John Kerry und der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton zusammen. Das Vierer-Treffen, das hinter geschlossenen Türen stattfindet, ist das erste Gespräch in dieser Zusammensetzung über den Ukraine-Konflikt.
Frankreichs Präsident François Hollande sagte, dass "die Stufe der Sanktionen erhöht" werden könne, wenn es keine "Lösungen" in Genf gebe. Zuvor hatten bereits die USA mit weiteren Sanktionen gegen Russland gedroht. Der Präsidentensprecher Jay Carney sagte, weitere Strafmaßnahmen würden "aktiv vorbereitet". US-Präsident Barack Obama warf Moskau vor, die prorussischen Milizen in der Ostukraine zu unterstützen.
Tote und Verletzte bei Kämpfen in Mariupol
Die Genfer Gespräche wurden überschattet von nächtlichen Kämpfen in der ukrainischen Hafenstadt Mariupol. Dort seien in der Nacht zum Donnerstag ukrainische Truppen in ihrem Stützpunkt von rund 300 Menschen mit Gewehren und Brandsätzen angegriffen worden, erklärte Innenminister Arsen Awakow. Dabei seien drei Angreifer erschossen, 13 weitere verletzt und 63 Menschen festgenommen worden.
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In Mariupol hatten bewaffnete Gruppen wie auch in anderen Städten der Region in den Tagen zuvor Verwaltungsgebäude besetzt. Die Lage im Osten der Ukraine ist seit Tagen stark angespannt und unübersichtlich. Kiew entsandte die Armee gegen die Milizen, doch endete die Operation in einem Fiasko, als prorussische Gruppen sechs gepanzerte Fahrzeuge kaperten und eine andere Militärkolonne zur Umkehr zwangen.
EU will mit Russland über Gaslieferungen verhandeln
EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso schrieb derweil an Putin, die EU sei zu Gesprächen mit Russland und der Ukraine über Gaslieferungen bereit. "Es ist in unserem gemeinsamen Interessen, rasch Diskussionen unter Einschluss der Ukraine einzuleiten", schrieb Barroso. Er warnte, die Verlässlichkeit Russlands als Gaslieferant stehe auf dem Spiel.
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Putin hatte die Gespräche in einem Brief vom 10. April vorgeschlagen, nachdem er der Ukraine mit einem Lieferstopp gedroht hatte, sollte Kiew seine ausstehenden Zahlungen nicht begleichen. Putin stellte der Ukraine nun eine einmonatige Frist zur Begleichung der Schulden. Andernfalls werde Russland von der Ukraine eine Vorauszahlung für die weitere Lieferung von Gas fordern, sagte Putin im Fernsehen.
Snowden befragt Putin zur Überwachung in Russland
Der US-Geheimdienstenthüller Edward Snowden hat sich in der öffentlichen TV-Fragestunde am Donnerstag mit einer Frage an den russischen Staatschef Wladimir Putin gewandt. In einem Video fragte Snowden den russischen Präsidenten nach dem Umfang der Überwachung der Bürger Russlands durch die Geheimdienste des Landes.
Putin antwortete, eine "Massenüberwachung" der Bevölkerung, wie Snowden es über die USA enthüllt habe, sei in Russland undenkbar. Die russischen Dienste stünden unter strenger Kontrolle.
Ob das Video mit der Zuschaltung Snowdens live war oder eine Aufzeichnung, blieb unklar. Der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter hatte im vergangenen Jahr in Russland Asyl erhalten, nachdem er mit seinen Enthüllungen über die weltumspannenden Abhörpraktiken des US-Dienstes NSA weltweit für Furore gesorgt hatte. Die USA wollen Snowden verhaften und ihm den Prozess machen.
Aeroflot: Ukraine verbietet russischen Männern Einreise
Die Ukraine hat nach Angaben von Aeroflot allen russischen Männern zwischen 16 und 60 Jahren die Einreise verboten. Die russische Fluggesellschaft teilte am Donnerstag mit, sie habe eine Anweisung von der Regierung in Kiew übermittelt bekommen, dass den Männern die Einreise verwehrt werde. Nur in Sonderfällen werde eine Ausnahme gemacht. Russlands Präsident Wladimir Putin hatte zuvor bei einem Fernsehauftritt eine russische Militärintervention nicht ausgeschlossen.
Nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland besteht in Kiew die Sorge, dass Russland auch die mehrheitlich russischsprachigen Gebiete im Süden und Osten der Ukraine übernehmen will. Seit Tagen sind in der Region bewaffnete prorussische Gruppen im Einsatz, die Verwaltungsgebäude besetzen und den Anschluss an Russland fordern. Kiew und der Westen werfen Moskau vor, den Einsatz dieser Gruppen zu steuern. (afp)