Kiew/Moskau. Die ukrainische Regierung in Kiew droht die Kontrolle über den Osten des Landes zu verlieren. In der Stadt Slawjansk sind sechs Panzer mit russischen Fahnen eingefahren — Separatisten haben das Rathaus von Donezk besetzt. Russlands Präsident Putin sieht das Land am Rande des Bürgerkriegs.
Kurz vor dem Krisentreffen in Genf entgleitet der ukrainischen Regierung immer mehr die Kontrolle über den Osten des Landes. Pro-russische Separatisten besetzten am Mittwoch das Rathaus der Bergarbeiterstadt Donezk, die das industrielle Zentrum der Region bildet. Zudem gab es Berichte über Überläufer in der ukrainischen Armee. Den Separatisten fielen sechs Schützenpanzer in die Hände.
In Genf sollten die diplomatischen Bemühungen zur Beendigung der Krise am Donnerstag in eine neue Runde gehen: Neben Diplomaten der USA und der EU treffen dort auch erstmals seit Beginn des Konflikts die Außenminister Russlands und der Ukraine zu direkten Verhandlungen aufeinander.
Die Nato beschloss unterdessen, in den kommenden Tagen weitere Luft-, See- und Landstreitkräfte in die östlichen Randgebiete der Allianz zu verlegen. Auch die Bundeswehr wird sich bald an dieser Demonstration der militärischen Stärke beteiligen. Ab Ende Mai werde der Tender "Elbe" einen Minenabwehrverband in der Ostsee führen, sagte ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Berlin. Das Schiff hat eine Besatzung von knapp 40 Soldaten.
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Ab September sollen zudem bis zu sechs deutsche Eurofighter-Kampfjets die Luftraumüberwachung über den baltischen Staaten verstärken. Darüber hinaus habe Deutschland keine weiteren Beiträge angezeigt, erklärte der Ministeriumssprecher. Die Nato will auch durch verstärkte Manöver mehr Präsenz zeigen. Es sei aber keine Entscheidung zur Errichtung von dauerhaften Stützpunkten in osteuropäischen Nato-Ländern gefallen, sagte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen.
Schützenpanzer mit russischen Fahnen eingefahren
Im Osten der Ukraine, wo Separatisten Verwaltungsgebäude in zehn Städten besetzt halten, liefen Soldaten auf die Seite der pro-russischen Kräfte über. Einer von ihnen sagte in Slawjansk, er und andere Angehörige seiner Fallschirmjäger-Einheit hätten sich entschieden, die Seiten zu wechseln, weil sie nicht auf das eigene Volk schießen wollten. Die Soldaten zählten zu den Truppen, die Slawjansk und Kramatorsk eigentlich im Auftrag der Regierung zurückerobern sollten. "Sie haben uns in unserem Stützpunkt drei Tage lang nichts zu essen gegeben. Hier bekommen wir etwas zu essen. Was glauben Sie, für wen wir kämpfen?", fragte er. Die ukrainische Armee gilt als marode und unterfinanziert.
Der Einsatz der Fallschirmjäger gegen die Separatisten hatte am Vortag am Flughafen von Kramatorsk begonnen. Am frühen Mittwochmorgen fuhren die Soldaten mit ihren Schützenpanzern und darauf aufgepflanzten ukrainischen Fahnen in die Stadt hinein. Später allerdings trafen einige derselben Fahrzeuge mit russischen und Separatisten-Flaggen vor dem besetzten Rathaus in Slawjansk ein. Auf den Panzern saßen schwer bewaffnete Männer in den unterschiedlichsten Uniformen. Einige Bewohner winkten den Männern zu und riefen: "Russland, Russland" oder "Gut gemacht, Jungs!". Es blieb zunächst unklar, ob die Soldaten übergelaufen waren oder Separatisten die Fahrzeuge erobert hatten. Die ukrainische Regierung bestätigte, dass sechs ihrer Schützenpanzer in den Händen der Gegner seien.
In Kramatorsk versorgten Bewohner Soldaten mit Tee und Lebensmitteln. Die Armeeangehörigen wirkten erschöpft. Ein Zivilist berichtete, er habe gesehen, wie ukrainische Soldaten ihre gepanzerten Fahrzeuge pro-russischen Separatisten übergeben hätten. Der ukrainische Verteidigungsminister Mihailo Kowal kündigte eine Reise in den Osten an, um sich über die Lage der Truppen zu informieren.
Steinmeier warnt vor Misserfolg des Genfer Treffens
Die Entwicklungen nährten die Sorge, dass das Krisentreffen am Donnerstag in Genf misslingen könnte. "Ein Scheitern ist nicht erlaubt!" appellierte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier an alle Beteiligten. "Denn die Lage im Osten der Ukraine wird immer bedrohlicher."
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Die Bundesregierung stärkte der Führung in Kiew den Rücken. "Völlig klar ist, dass die ukrainische Führung natürlich die gewaltsame Übernahme zum Beispiel von Polizeistationen oder anderer kritischer Infrastruktur durch Gewalttäter nicht unbegrenzt hinnehmen kann", sagte ein Regierungssprecher. "Aus unserer Sicht hat sich die Regierung in Kiew bisher sehr besonnen und sehr zurückhaltend verhalten." Am Vorabend hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel erneut mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert, der vor einem Bürgerkrieg in der Ukraine warnte.
Der ukrainische Ministerpräsident Arseni Jazenjuk beschuldigte Russland, den "Terrorismus in die Ukraine zu exportieren". Die russische Führung benutze verdeckt operierende Truppen, um bewaffnete Separatisten zu organisieren, sagte er. Russlands Außenminister Sergej Lawrow dagegen konterte, der Einsatz der Truppen in der Ost-Ukraine sei inakzeptabel. Die Führung in Kiew müsse auf die Stimme des Volkes hören und Gewalt vermeiden. (Reuters)