Slawjansk. . Der Osten des Landes steht am Rande eines Bürgerkriegs. Menschen laufen mit Knüppeln und Kalaschnikows durch die Straßen. In Städten wie Slawjansk wird geschossen. Es ist unklar, wie heftig Moskau dabei mitmischt. Eine Reportage von Stefan Scholl.

Eine Stadt verbarrikadiert sich. Auf der Brücke zur Autotrasse Donezk-Charkow türmen sich Lkw-Reifen, davor stehen Frauen mit Ikonenbildern im Regen und beten. An den anderen Ortseinfahrten der 100.000-Einwohnerstadt haben sich Männer versammelt, bewaffnet mit Knüppeln oder Kalaschnikows, ein Maskierter in schwarzem Overall schimpft auf die „faschistische Junta“ in Kiew.

Am höchsten sind die Barrikaden vor der Polizeihauptwache. Davor drängen sich mehrere hundert Frauen, Männer, auch Kinder, über ihnen wehen die Flagge der separatistischen „Volksrepublik Donezk“ und die russische Trikolore. Weder der ukrainische Geheimdienstes SBU noch die Polizei schreiten ein.

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Polizeizentrale besetzt

Die prorussische Revolte in der Ostukraine geht weiter. Nicht nur in Slawjansk. Auch in der Gebietshauptstadt Donezk besetzten Separatisten am Wochenende die Polizeizentrale, ebenso in Krasny Liman, Mariupel und Kramatorsk. Unklar, wie dauerhaft diese Erfolge sind. Der ukrainische Innenminister Arseni Awakow twitterte am Sonntag, in Slawjansk werde gekämpft, ukrainische Antiterroreinheiten hätten einen Toten und fünf Verletzte zu beklagen. Es gibt aber auch höhere Zahlen von Opfern.

Ein Dutzend Soldaten hat unter den Bäumen eines kleinen Parks Schutz vor dem eiskalten Nieselregen gesucht. Durchtrainierte Krieger mit schwarz glänzenden Stiefeln und Knieschützern und sehr neu aussehenden Uniformen. Sie ähneln den „grünen Männchen“, wie hier die russischen Truppen während der Intervention auf der Krim genannt wurden. Auf die Frage, woher er kommt, lächelt ein junger Soldat: „Aus Slawjansk.“ Ob er seinen Pass dabei hat? „Hab ich zuhause gelassen“, lacht er.

Experte: Ukraine soll als „gescheiterter Staat“ erscheinen

Es ist unklar, wie heftig Russland bei den neuen Unruhen in der Ostukraine mitmischt. Der ukrainische Militärexperte Dmitri Timtschuk schreibt, hinter den Unruhen stünden Agenten des russischen Militärgeheimdienstes GRU.

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Am Donnerstag sollen die ersten direkten Verhandlungen zwischen dem ukrainischen Außenminister Andrei Deschtschitza und seinem russischen Kollegen Sergei Lawrow beginnen. Mit dabei sind dann US-Chefdiplomat John Kerry und die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton. Es sei Aufgabe der russischen Agenten, bis zum Beginn der Verhandlungen möglichst viele Amtsgebäude unter ihre Kontrolle zu bringen, um dort die Ukraine als „gescheiterten Staat“ hinstellen zu können, so Timtschuk.

Erste Verhandlungserfolge für die Separatisten

Andere Beobachter glauben, in Slawjansk seien Elitepolizisten von der Krim im Einsatz, ehemalige Kämpfer der Berkut-Einheiten, sie sollten die schleichende russische Invasion in der Ukraine fortsetzen. Ein Reporter des russischen Staatsfernsehens aber sagt, die Gebäude in Slawjansk hätten Kämpfer der separatistischen „Südostukrainischen Armee“ aus der Nachbarregion Lugansk erobert, die schon zuvor das dortige SBU-Hauptquartier erobert hatte.

Die Separatisten verzeichnen erste Verhandlungserfolge. Interimspremier Arseni Jazenuk stellte in Aussicht, die Verfassung durch Volksabstimmung und föderale Elemente zu bereichern. Ukrainische Patrioten in Donezk und Lugansk aber fürchten, dass die Forderungen der Rebellen sich nicht zufällig mit denen des russischen Chefdiplomaten Lawrows überlappen: Neutralität und Föderalisierung der Ukraine.

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"Vergiss Stalingrad nicht!"

„Russland will den Druck aufrechterhalten, will außer in Lugansk und Donezk auch in den Kreisstädten Rebellionen entfachen, um die Präsidentschaftswahlen und damit die Legitimation der neuen Staatsmacht in der Ukraine zu verhindern“, sagt der Bürgerrechtler Nikolai Kusmitsch. „Während unsere Regionalelite auslotet, ob es lohnender ist, sich an Kiew oder an Moskau zu verkaufen.“

Die Krieger an den Slawjansker Straßensperren tragen billiges, von der Nässe aufgeschwemmtes Schuhwerk. „Du bist aus Deutschland?“, fragt ein kleiner Mann in einer verschmutzten Tarnjacke, „hier, das schenke ich dir.“ Er drück mir eine Kalaschnikow-Patrone in die Hand und grinst: „Vergiss Stalingrad nicht!“