Berlin. Die Einwohner des Landes entscheiden über den ersten demokratische Machtwechsel in der Geschichte Afghanistans. Schon seit Tagen überziehen die radikal-islamischen Taliban das Land mit einer Anschlagsserie, um die Abstimmung zu stören. Wegen der Wahl legt die Bundeswehr bei ihrem Abzug eine Pause ein.

Die Bundeswehr plant längst zweigleisig, für einen Total-Abzug aus Afghanistan oder für eine neue Mission ab 2015 – nach dem ISAF-Einsatz. Beim Rückzug legt sie bis Juni eine Pause ein. Weder Soldaten noch Material werden gerade in signifikanter Zahl abgezogen. Alle warten die Wahl am Samstag ab.

Präsident Hamid Karsai ist nicht mehr Teil der Lösung, weil er nicht wiedergewählt werden kann und kein Abkommen für eine Folgemission unterzeichnen wollte. Das sollte sein Nachfolger tun. Oder auch nicht. In diesem Fall ziehen dann alle Staaten zum Jahresende ihre Truppen ab. In der zweiten Jahreshälfte wird es also kritisch, weil die Bundeswehr nicht länger warten kann und Material reduzieren muss, etwa gepanzerte Fahrzeuge. 1200 waren es 2013, jetzt sind es 420. Bis Juli sollte die Zahl auf 250 sinken.

Die Zahl der Zwischenfälle steigt

Es gibt viel Unsicherheit. Umfragen zeigen, dass die Unterstützung der Bundesbürger für den Einsatz sinkt, auch bei den Soldaten selbst. Heikel ist auch die Sicherheitslage. Mit dem Ende des Winters nehmen die Kämpfe gewöhnlich zu. Die Amerikaner sprechen von der „Fighting Season“, die zum 1. März begonnen habe. Die Frage ist, wie stark die Wahl darunter leidet. Die Zahl der Zwischenfälle steigt seit 2013.

Auch interessant

Letzte Woche wurde in Kabul das Büro der Unabhängigen Wahlkommission angegriffen, wobei längst nicht alle Anschläge auf die Taliban zurückzuführen sind. Oft steckt die organisierte Kriminalität dahinter. In dem Maße, in dem afghanische Polizei und Armee immer größere Gebiete unter ihre Kontrolle bringen, steigen auch die Konflikte und die Verluste.

Die Nato will im Land bleiben. Die nächste Mission – RSM – ist längst konzipiert. Die Bundeswehr würde wieder im Norden Verantwortung übernehmen, dann mit 600 bis 800 Soldaten. Heute sind es 2700. Auch andere Staaten wären dazu bereit. Aber erst müssen zwei Voraussetzungen erfüllt werden. Afghanistan muss um Hilfe ersuchen – danach würde die UNO ein neues Mandat beschließen. Zudem verlangen die USA ein Sicherheitsabkommen, das unter anderem ihren Soldaten Immunität vor afghanischer Strafverfolgung garantiert. Andere Truppensteller würden auch darauf pochen; und ohne die USA liefe militärisch nicht viel.

Kein Vertrauen zu Amerika

Der Charakter des Einsatzes hat sich zuletzt spürbar verändert. Noch 2012 standen Verbündete und afghanische Soldaten gemeinsam im Gefechtsfeld – auf Kompanieebene. 2013 ging man dazu über, die afghanischen Militärs taktisch zu begleiten, nun auf der (höheren) Batallonsebene. Die afghanische Armee ist aufgestellt, ab 2015 wollen die Verbündeten dann verstärkt beraten und ausbilden.

Zwar empfahl die Loja Dschirga, die große Ratsversammlung des Landes, das Abkommen mit den USA zu unterzeichnen. Doch Karsai hielt die USA lange hin. Längst ist das Verhältnis zerrüttet. In Interviews beklagte er das fehlende Vertrauen. Karsai: „Ich vertraue ihnen nicht, und sie vertrauen mir nicht.“

Langwieriger Wahlverlauf

Die Nato hat es aufgegeben, ihn zur Unterschrift zu drängen. Jetzt wartet man den Samstag ab. Aber die Wahl ist eine Hängepartie. Am 24. April wird das vorläufige, erst am 14. Mai das Endergebnis feststehen. Sollte keiner der elf Kandidaten mehr als 50 Prozent der Stimmen erhalten, werden die zwölf Millionen Wahlberechtigten 14 Tage später erneut zu den Urnen gerufen. Wieder stellt sich die Frage, ob die Wahl „sauber“ und sicher ablaufen wird. Frühestens Ende Juni wird feststehen, wer Präsident wird.

Die Bedeutung der Entscheidung kann man nicht hoch genug einschätzen. Es wäre der erste demokratische Machtwechsel in der Geschichte des Landes, und erst danach wissen die Truppensteller, woran sie sind. „Wenn wir kein Mandat kriegen“, heißt es in der Bundeswehr, „sind wir zum 31. Dezember weg.“