Stuttgart/Ulm. Der Bundeswehr fehlt Nachwuchs. Um mehr junge Frauen zur Truppe zu locken, will Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen mehr für Soldaten mit Familie tun und eventuell sogar die sportlichen Hürden senken. Wie Dienst und Familie in Einklang gebracht werden können, zeigt ein Projekt in Ulm.
Eigentlich wollte Lisa Jörg Lehrerin werden. "Ich kann gut mit Kindern und Jugendlichen", sagt die 23-Jährige. Im Studium dann die Ernüchterung: überfüllte Hörsäle, zu wenige Ansprechpartner, hohe Kosten. Die junge Frau beschließt, einen anderen Weg zu gehen - der führt zur Bundeswehr. Jetzt leistet sie ihren freiwilligen Wehrdienst in einer Kaserne in Stuttgart und strebt die Offizierslaufbahn an. "Bei der Bundeswehr gibt es Action und Abwechslung, das ist kein klassischer Bürojob", sagt die begeisterte Fußballerin.
Solche Frauen würde sich Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) viel mehr wünschen. Doch die Realität sieht anders aus: Knapp 19.000 Soldatinnen leisten wie Lisa Jörg in Deutschland Dienst an der Waffe. Das sind bei einer Truppenstärke von rund 186.000 Soldaten nur gut zehn Prozent. Von der Leyen möchte dem nicht länger zusehen: Zum einen will sie junge Frauen nicht mehr mit Fitnesstests abschrecken. Und dann soll die Bundeswehr viel familienfreundlicher werden.
"Im Einsatz gibt es keine Teilzeit"
Momentan ist Lisa Jörg zwar noch sehr flexibel: "Dann bin ich eben auch mal eine Weile weg von Zuhause", sagt sie über Auslandseinsätze und Versetzungen. Doch auch sie denkt über später nach: Teil- oder Elternzeit seien schon wichtig. Hier müsse dringend etwas passieren, meint auch der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold: "Als öffentliche Einrichtung muss die Bundeswehr eine Vorbildfunktion erfüllen, was die Vereinbarkeit von Familie und Beruf angeht."
Für das Thema interessierten sich allerdings fast nur Frauen, sagt Hauptmann Kai Nagler (31), der im Karrierecenter der Bundeswehr in Stuttgart arbeitet. Die 16 Center und 110 Beratungsbüros bundesweit sind Nachfolger der Kreiswehrersatzämter, die bis Ende 2012 die Wehrpflichtigen musterten. "Soldat ist kein Beruf wie jeder andere", meint er. Auch Michael Becker vom Landeskommando Baden-Württemberg stellt fest: "Im Einsatz gibt es keine Teilzeit." Seine Töchter sieht der Oberstleutnant nur alle zwei Wochen bei ihrer Mutter in Bonn.
Dass Dienst und Familie in Einklang gebracht werden können, zeigt die Bundeswehr im Ulm. Am dortigen Krankenhaus wird derzeit eine Kita gebaut. 50 Kinder sollen vom Frühjahr 2015 an im "Sanigel" betreut werden - bis zu 15 Stunden täglich. Für Eva-Maria Oehme (28) ist das ein Glücksfall. Die Berufssoldatin arbeitet in Ulm als medizinische Dokumentationsassistentin und erwartet im April ihr erstes Kind. Nach der Geburt möchte sie wieder arbeiten, wohl in Teilzeit. Oehme hält die Bundeswehr grundsätzlich für einen familienfreundlichen Arbeitgeber. Aber auch sie schränkt ein: "In der Truppe kann sich eine Mutter, deren Kind krank ist, nicht einfach freinehmen."
Häufige Versetzungen sind problematisch
Wie viel sich von der Leyen vorgenommen hat, zeigt eine im Januar veröffentlichte Umfrage des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr aus 2011. Aus ihr geht hervor, dass zwischen 2005 und 2011 bei vielen Soldaten die Familie unter dem Beruf gelitten hat. 61,4 Prozent der befragten Männer und 54,9 Prozent der Frauen berichteten über Beziehungskrisen. Viele trennten sich sogar deswegen.
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Ein Problem sind dabei auch die häufigen Versetzungen. "Offiziere müssen alle zwei bis drei Jahre den Standort wechseln", sagt Kai Nagler vom Karrierecenter. Genau hier sieht SPD-Mann Arnold das Problem: "Man muss Versetzungen minimieren und regional bleiben."
Die Stuttgarter Soldatin Lisa Jörg blickt zuversichtlich in ihre Zukunft: "Wenn es mit der Offizierslaufbahn klappt, kann ich hier studieren", sagt sie. Dafür muss sie sich für 13 Jahre verpflichten - eine lange Zeit. Für Familienplanung hat sie jetzt noch keinen Sinn. (dpa)