Die schwarz-rote Bundesregierung ist 100 Tage im Amt. Zeit für einen ersten Leistungstest: Wie gut sind die Kanzlerin und ihre Minister gestartet? Die Köpfe der GroKo in der Einzelkritik - wer überrascht, wer enttäuscht, wer wird noch für Überraschungen sorgen.

Angela Merkel, Kanzlerin 100 Tage? Na und? Im neunten Jahr ihrer Kanzlerschaft schert sie sich wenig darum. Und doch ist ihre Regierung denkbar ungünstig gestartet - auch sie selbst. Die Kanzlerin hat sich beim Skiurlaub verletzt.

Und weil ein Unglück selten allein kommt, musste sie auch mit der Edathy-Affäre fertig werden, die wochenlang das Klima in der "Groko" beeinträchtigt hat. Bitter war auch die Erkenntnis, dass die USA nicht bereit sind, ein No-Spy-Abkommen zu unterzeichnen. In der NSA-Affäre hat sie - selten bei ihr - das Ende nicht bedacht. Aktuell sind ihre Qualitäten als Krisenmanagerin gefragt. Sie ist beliebt, bei ihren Ministern wie beim Wahlvolk, und momentan dabei, den Fehlstart vergessen zu machen.

Doch wie steht es um die übrigen Macher der GroKo-Regierung. Die Minister in der Einzelkritik

Sigmar Gabriel (SPD), Wirtschaft 

Seine Rolle als Vizekanzler hat der 54-Jährige schnell gefunden. Er hat die SPD in die Koalition geführt, jetzt ist er auch bei Turbulenzen Garant für die Stabilität der Regierung. Sein Verhältnis zu Merkel ist weiter gut und vertrauensvoll, daran hat die Edathy-Affäre nichts geändert.

Die Position der Kanzlerin respektiert er, die Arbeit der SPD-Ministerien koordiniert Gabriel aber auch selbst und sehr entschieden. Als Wirtschafts- und Energieminister steht ihm jetzt mit der Ökostrom-Reform die erste Bewährungsprobe bevor - noch sind die Widerstände groß. Mittelfristiges Ziel Gabriels ist es, das Wirtschaftsprofil der SPD zu stärken, da bleibt viel zu tun.

Bewertung: Unverzichtbar für die Koalition

Frank-Walter Steinmeier (SPD), Außen 

Glücksfall für das Kabinett. Steinmeier brauchte keine Einarbeitungszeit, das Außenministerium leitete er ja schon von 2005 bis 2009, in vielen Hauptstädten kennt er die Chefdiplomaten: Der 56-Jährige ist in seinem Amt sehr souverän und hochmotiviert gestartet, seit dem Konflikt um die Ukraine ist der Minister im Dauer-Kriseneinsatz.

Frank-Walter Steinmeier musste in einem Luxushotel in Äthiopien warten, bis sein Flugzeug starten konnte.
Frank-Walter Steinmeier musste in einem Luxushotel in Äthiopien warten, bis sein Flugzeug starten konnte. © Michael Kappeler/dpa

Sein Konzept einer neuen, engagierteren Außenpolitik erlebt früher als gedacht den Praxistest. Auch die Bürger schätzen seine Arbeit, in Umfragen ist Steinmeier beliebter als die Kanzlerin - das Verhältnis der beiden ist aber gut, sie stimmen sich eng ab.

Bewertung: Großer Aktivposten

Thomas de Maiziere (CDU), Innen 

Thomas de Maizière: Innenminister geben sich gern als markige Typen. Manfred Kanther, Otto Schily oder Wolfgang Schäuble haben das Bild des schwarzen Sheriffs verkörpert. De Maizière ist versöhnlicher. Der CDU-Politiker hat drei ganz große Streitfelder: Die Islamkonferenz, die Vorratsdatenspeicherung und der Wegfall der Optionspflicht bei den Doppelstaatlern. Er hat alle beruhigt.

Bundesinnenminister Thomas de Maiziere will den Missbrauch von Sozialleistungen angehen.
Bundesinnenminister Thomas de Maiziere will den Missbrauch von Sozialleistungen angehen. © Bernd Settnik

De Maizière war auch nicht bereit, sich in der Edathy-Affäre am BKA-Präsidenten Ziercke abzuarbeiten. Es ist nach 100 Tagen offen, was "sein" Thema sein wird. Aber es ist klar, warum die Kanzlerin ihren Vertrauten vom Verteidigungs- ins Innenressort versetzte: Raus aus der Schusslinie.

Bewertung: De Maizière ist ein Spätzünder.

Wolfgang Schäuble (CDU), Finanzen 

Der Badener hat sich große Ziele gesetzt. Er will nicht mehr, nicht weniger als eine große Trendumkehr in der Finanzpolitik. Für 2015 will der Christdemokrat ohne neue Schulden auskommen. Die ökonomischen Daten sind gut, der Bundesbankgewinn fiel üppiger als erwartet aus, die Euro-Krise scheint unter Kontrolle, seine Reputation in Regierung, Koalition und im eigenen Haus ist überragend.

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© Wolfgang Kumm/dpa

Offen ist für den Finanzminister, ob sich die Ukraine-Krise als Schlag ins Kontor erweisen wird. Die größte Herausforderung daheim ist der Finanzausgleich, der 2019 ausläuft. Faktisch werden die Finanzbeziehungen von Bund und Ländern neu austariert.

Bewertung: Aus Erfahrung gut.

Ursula von der Leyen (CDU), Verteidigung: 

Sie ist erstens eine Generalistin und zweitens eine unerschrockene Frau, die nicht lange fackelt. Die Verteidigungsministerin hat zwei Staatssekretäre und einen wichtigen Abteilungsleiter abgesetzt. Sie will den Rüstungsbereich neu aufbauen, das Militär - zumal für Frauen - als Arbeitgeber attraktiver machen. Zudem hat die Bundeswehr ihren Einsatz in Mali ausgeweitet. Und, und, und.

Die Ankündigungen überwiegen, und in den ersten 100 Tagen geht das auch in Ordnung. Bald wird man kritischer nach den Ergebnissen fragen. Wenn die CDU-Frau aus Niedersachsen erfolgreich ist, kommt man bei der Nachfolge Merkels kaum an ihr vorbei.

Bewertung: Die Ersatzkanzlerin

Andrea Nahles (SPD), Arbeit und Soziales 

Dieses Amt ist ihr Traumjob, der Start bedeutete aber Knochenarbeit: Gleich zwei große Gesetzesvorhaben - Rentenpaket und Mindestlohn - hat Nahles in den ersten 100 Tagen auf den Weg gebracht, der Koalitionsvertrag wollte es so. Vor allem die Rentenpolitik ist umstritten, doch aus Koalitionssicht hat Nahles alles richtig gemacht.

Bundesarbeitsministerin Nahles will bei ihrem Versprechen bleiben: Die Rente mit 63 kommt.
Bundesarbeitsministerin Nahles will bei ihrem Versprechen bleiben: Die Rente mit 63 kommt. © Franziska Kraufmann/dpa

Die SPD ist stolz auf ihre Arbeit, in der Union loben sie die professionelle und faire Zusammenarbeit mit der Ministerin - die geschickt auch Kritiker in der Wirtschaft einbindet, so gut es geht.

Bewertung: Guter Start im Traumjob

Heiko Maas (SPD), Justiz 

Der Saarländer kam ganz neu und für viele überraschend in die Bundespolitik, auch sein Ministerium erlebt mit der Fusion von Justiz und Verbraucherschutz neue Zeiten. Da hat Maas (47) noch nicht viele Zeichen setzen können, aber sein Tatendrang ist groß.

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) möchte die Risiken für Verbraucher am Finanzmarkt verringern.
Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) möchte die Risiken für Verbraucher am Finanzmarkt verringern. © Malte Christians

Nachdem er einen verzichtbaren Konflikt mit dem Innenminister über die Vorratsdatenspeicherung durchgestanden hat, gilt das Verhältnis der beiden Minister jetzt als gut. Nun reizt Maas die Union mit seinen Plänen zur Mietpreisbremse.

Bewertung: Forscher Kabinetts-Einsteiger

Alexander Dobrindt (CSU), Verkehr und digitale Infrastruktur 

Die Ausweitung der Lkw-Maut hat er bereits auf den Weg gebracht, aber seine eigentliche Bewährungsprobe steht noch bevor: Der 43-Jährige muss in diesem Jahr das Konzept für eine Pkw-Maut vorlegen, die Inländer nichts kosten darf - wie das gelingen soll, fragen sich auch viele Koalitionäre.

Alexander Dobrindt setzt auf eine
Alexander Dobrindt setzt auf eine "Netzallianz". Archivbild © Sven Hoppe

Bis dahin hält sich Dobrindt eher zurück, viel bewegt hat er noch nicht. Was er aus der neuen Zuständigkeit für den Internet-Ausbau inhaltlich macht, ist noch offen. Aber als enger Vertrauter von CSU-Chef Horst Seehofer ist Dobrindt noch für Überraschungen am Kabinettstisch gut.

Bewertung: Minister in schwieriger Mission

Manuela Schwesig (SPD), Frauen und Familie 

Das war knapp: Buchstäblich auf den letzten Metern der 100 Tage hat Manuela Schwesig jetzt ihr Frauenquotengesetz vorgestellt - ursprünglich sollte es längst beschlossen sein. In anderen Feldern hat Schwesig bislang vor allem viel angekündigt: Mehr Elterngeld für Teilzeitbeschäftigte, neue Maßnahmen gegen die Lohnlücke von Frauen und Männern - doch vor 2015 wird nichts daraus.

Familienministerin Manuela Schwesig erläutert während einer Pressekonferenz in Berlin die Leitlinien für das neue Frauenquoten-Gesetz.
Familienministerin Manuela Schwesig erläutert während einer Pressekonferenz in Berlin die Leitlinien für das neue Frauenquoten-Gesetz. © Maurizio Gambarini

Schwesigs kluge Vision einer "32-Stunden-Woche" für junge Eltern war dagegen gleich zu Jahresanfang von der Kanzlerin ausgebremst worden. Die 39-Jährige will trotzdem daran festhalten. Immerhin hat sie mit SPD-Arbeitsministerin Nahles eine Verbündete.

Bewertung: Neuling mit vielen Plänen

Gesundheit: Hermann Gröhe (CDU) 

Der ehemalige CDU-General steht vor einer Herkulesaufgabe: Der Reformstau im Gesundheitswesen ist groß - vor allem im Bereich der Pflege. In der Lobbyisten-Arena der Gesundheitspolitik ist der 53-Jährige jedoch ein Neuling, der zunächst mal seine Position bestimmt hat - als Konservativer: Gröhe ist gegen eine Freigabe der "Pille danach", er will die Sterbehilfe streng regulieren, kümmert sich aber auch um den Berufstand der freien Hebammen.

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe erwartet Entlastung für Millionen Versicherte.
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe erwartet Entlastung für Millionen Versicherte. © Tim Brakemeier/Archiv

Nun kommt sein erstes großes Gesetz ins Kabinett - die Beitragsreform für die gesetzlichen Krankenkassen. Viel Applaus kann er dafür nicht erwarten - künftige Kostensteigerungen sollen allein die Arbeitnehmer tragen.

Bewertung: Politprofi mit großen Aufgaben

Barbara Hendricks (SPD), Umwelt 

Gestern hat sie das Naturschutzgroßprojekt "Hohe Schrecke" besucht, heute stellt sie den Naturschutzbericht vor. Termine mit Signalwirkung. Ihre Botschaft: Die Umweltministerin ist angekommen. Wer mit ihr ins Gespräch kommt, staunt: Die Sozialdemokratin hat alle Zahlen und Fakten parat - eine wahre Aktenfresserin.

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD).
Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD). © Stephanie Pilick/Archiv

Ihr Ministerium hat mehr Kompetenzen, Stellen und Haushaltsmittel, weil Hendricks auch für den Städte- und Wohnungsbau zuständig ist. Es sind aber die alten Themen, die sie gerade auf Trab halten: Gorleben, Asse, Castor-Transporte. Dazu kommt, dass für Energie der Wirtschaftsminister zuständig ist, nicht Hendricks.

Bewertung: Sie wird die SPD nicht blamieren.

Johanna Wanka (CDU), Bildung 

Die 62-Jährige, die vor gut einem Jahr noch in die schwarz-gelbe Regierung eingewechselt wurde, hat sich einen guten Ruf erarbeitet. Doch im Moment agiert Wanka eher in der zweiten Reihe der Ministerriege.

Bundesbildungsministerin Johanna Wanka spricht sich in der Diskussion um Ausnahmen vom gesetzlichen Mindestlohn bei Jugendlichen für eine höhere Altersgrenze aus.
Bundesbildungsministerin Johanna Wanka spricht sich in der Diskussion um Ausnahmen vom gesetzlichen Mindestlohn bei Jugendlichen für eine höhere Altersgrenze aus. © Bernd von Jutrczenka/Archiv

Ihre Projekte müssen noch warten: Die angekündigte Bafög-Reform kommt frühestens 2015, über die Verteilung der zusätzlichen Milliarden für die Bildung muss erst die Koalitionsspitze entscheiden. So ruhig wie Wanka ist kaum ein Kabinettsmitglied gestartet.

Bewertung: Fachfrau im Wartestand

Gerd Müller, Entwicklungshilfe (CSU) 

Eine der positiven Überraschungen im Kabinett. Der ehemalige Agrar-Staatssekretär war zunächst der große Unbekannte in der Ministerriege, der im Ausland auch gern mit der Fußballlegende Gerd Müller verwechselt wurde. Aber der 58-Jährige hat in den ersten 100 Tagen schon beeindruckenden Gestaltungsdrang bewiesen.

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) verfolgt die Debatte über den EU-Afrika-Gipfel im Bundestag.
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) verfolgt die Debatte über den EU-Afrika-Gipfel im Bundestag. © Bernd von Jutrczenka

Er war nicht nur von Indien bis Zentralafrika viel auf Reisen, er hat auch bereits umfassende Konzepte für Krisengebiete vorlegt - für die weitere Entwicklung in Afghanistan etwa, die nach dem Bundeswehrabzug in seine Zuständigkeit fällt, oder für eine neue Afrikapolitik.

Bewertung: Minister mit Gestaltungswillen

Peter Altmaier (CDU), Kanzleramt 

Er nimmt Merkel die vermeintliche Kleinarbeit ab. Im Klartext: Der Streit um den genauen Zuschnitt der Ministerien, um Stellen, Haushaltstitel. Die Koordination beim Mindestlohn wie in der Rentenpolitik lief über den Schreibtisch des Chefs des Kanzleramts. In Brüssel wurde er wegen der Reform der erneuerbaren Energien vorstellig.

Bundesumweltminister Altmaier mahnt zügige Erneuerbare-Energien-Gesetz-Reform an.
Bundesumweltminister Altmaier mahnt zügige Erneuerbare-Energien-Gesetz-Reform an. © Bernd von Jutrczenka

Altmaier hat die Kabinettsklausur in Meseberg genau geplant und sprang mehrfach als Redner für Merkel ein, als sie sich beim Skiurlaub verletzte. Obwohl er der Problemlöser, der Troubleshooter vom Dienst ist, muss er sich selbst zurücknehmen. Der CDU-Mann hat eine dienende Funktion. Man kann Altmaier bislang keine großen Fehler nachweisen.

Bewertung: Der Mann funktioniert.

Christian Schmidt (CSU), Agrar 

Für ihn läuft heute keine Schonfrist ab. Der CSU-Mann ist gerade 37 Tage im Amt. Er wurde Agrarminister, weil sein Parteifreund und Landsmann Hans-Peter Friedrich im Zuge der Edathy-Affäre untragbar geworden war. Da erinnerte sich CSU-Chef Horst Seehofer an den versierten Parlamentarier und Außenpolitiker.

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Mit seiner Erfahrung macht er die fehlende Sachkunde wett. Man kann noch nicht sagen, was er verändern wird. Es spricht viel dafür, dass Schmidt sich auf die Entwicklung des ländlichen Raums fokussieren wird, was über die Landwirtschaftspolitik hinaus geht und schon von Friedrich so angelegt war.

Bewertung: Ein unbeschriebenes Blatt