Berlin. . Obwohl die Zahl der Ein-Eltern-Familien wächst, werden sie nach wie vor im Unterhalts-, Sozial - und Steuerrecht benachteiligt, so die Bertelsmann-Stiftung. Familienministern verspricht, sich um Alleinerziehende stärker zu kümmern – doch wie, bleibt vage

Sie müssen die Kinder erziehen, das Geld verdienen und den Haushalt führen – und alles ohne Partner.

In jeder fünften Familie in Deutschland ist nur ein Erwachsener allein für die Kinder verantwortlich, fast immer nach einer Trennung. Tendenz steigend. Viele Alleinerziehende stoßen an ihre Belastungsgrenze, das Armutsrisiko ist alarmierend hoch. Jetzt belegt eine neue Studie: Auch die Politik hat sie im Stich gelassen.

„Ein-Eltern-Familien werden in unterschiedlichen Rechtsbereichen systematisch benachteiligt“, bilanziert das wissenschaftliche Gutachten im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung, das am Montag vorgestellt wird und unserer Redaktion bereits vorliegt.

Druck auf Alleinerziehende wächst

„Sowohl im Unterhaltsrecht als auch im Steuer- und Sozialrecht haben Reformen der vergangenen zehn Jahre den finanziellen Druck auf Alleinerziehende verschärft“, so die Studie. Man tue so, als sei Kindererziehung und Familie „nebenbei zu erledigen“.

Auch interessant

Es trifft eine Gruppe, die ohnehin stark belastet ist: Ein Drittel der rund 1,6 Millionen Alleinerziehenden mit minderjährigen Kindern ist arbeitslos. Ein weiteres Drittel ist Geringverdiener. Ein Vollzeitjob scheitert oft fehlenden Kinderbetreuungsplätzen und Ganztagsschulen. Vier von zehn Ein-Eltern-Familien sind deshalb ganz oder teilweise auf Hartz IV angewiesen – fünfmal mehr als Familien, wo Vater und Mutter zusammen sind.

Aus Kinder-Perspektive ist es noch schlimmer: Jedes zweite der 1,9 Millionen Hartz-IV-Kinder wächst mit nur einem Elternteil auf. „Wer Kinderarmut bekämpfen will, muss die Rahmenbedingungen für alleinerziehende Eltern verbessern“, sagt Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsmann-Stiftung. Doch das Gegenteil passiert.

Unterhaltszahlungen fürs Kind liegen unterm Existenzminimum

Problem Nummer eins ist laut Studie der Sozialrechts-Professorin Anne Lenze das Unterhaltsrecht: Seit 2008 können Alleinerziehende von ihrem früheren Partner kein Geld mehr für ihre Erziehungsarbeit erwarten, wenn ihr Kind älter als drei Jahre ist und eine Betreuungsmöglichkeit zur Verfügung steht.

Die vereinbarten Unterhaltszahlungen für das Kind aber liegen nicht nur überwiegend unterm Existenzminimum – jedes zweite Kind erhält obendrein vom getrennt lebenden Elternteil weniger als zugesagt oder gar nichts. Zwar könnten Alleinerziehende dann einen Unterhaltsvorschuss beantragen, aber nur für höchstens sechs Jahre und wenn das Kind jünger als zwölf Jahre ist. „Gleichheitsrechtlich höchst problematisch“, so die Studie.

Haushaltsfreibetrag wurde 2003 abgeschafft

Problem Nummer zwei: Das Steuerrecht, das den finanziellen Druck noch erhöht. 2003 wurde der höhere Haushaltsfreibetrag für Alleinerziehende abgeschafft, seit 2004 gilt ein deutlich niedrigerer Entlastungsbetrag, der zu einer ähnlichen Besteuerung führt wie bei Singles. Am Ende des Jahres kommen durch den steuerlichen Entlastungsbetrag von 1308 Euro unterm Strich maximal 549 Euro Steuerersparnis für Alleinerziehende heraus – bei Ehepaaren sind es durchs Splitting bis zu 15 000 Euro.

Problem Nummer drei: Wichtige sozialpolitische Maßnahmen kommen bei Alleinerziehenden wegen Anrechnungsregelungen auf Unterhalt oder Hartz IV oft nicht richtig an – der Kinderzuschlag etwa oder das steigende Kindergeld.

„Kinderarmut nicht mit der Gießkanne bekämpfen“

„Kinderarmut mit der Gießkanne zu bekämpfen, die ausgerechnet die Familien ausspart, die Unterstützung dringend benötigen, kann nicht richtig sein“, kritisiert die Bertelsmann-Stiftung. Sie fordert rasche Reformen vor allem beim Unterhaltsrecht und beim Kinderzuschlag sowie bei der Steuerentlastung. Immerhin, auch die Große Koalition sieht Handlungsbedarf. Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) kündigte gestern vage an, Alleinerziehende sollten finanziell besser unterstützt werden, auch im Steuerrecht. Im Koalitionsvertrag ist vereinbart, den steuerlichen Entlastungsbetrag anzuheben und nach der Zahl der Kinder zu staffeln – der Umfang ist aber ist völlig offen. Jörg Dräger von der Bertelsmann-Stiftung drängt: „Es darf von der Koalition nicht nur diskutiert, sondern muss zeitnah umgesetzt werden.“