Washington/Jerusalem. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat Israel in einem Bericht beschuldigt, Kriegsverbrechen an palästinensischen Zivilisten begangen zu haben. Außenministerium und Armee wiesen die Vorwürfe zurück. Die Palästinenser lehnten unterdessen eine Verlängerung von Friedensgesprächen ab.
Es gebe Beweise für absichtliche Tötungen von Palästinensern durch israelische Sicherheitskräfte, schreibt die Menschenrechtsorganisation in einem veröffentlichten Bericht. Er trägt den Titel "Schießwütig: Israels übermäßige Gewaltanwendung im Westjordanland". Alle Waffenlieferungen an Israel sollten ausgesetzt werden, forderte Amnesty vor einem Treffen von Israels Regierungschefs Benjamin Netanjahu mit US-Präsident Barack Obama in Washington.
Israel reagierte empört auf die Vorwürfe. Der Sprecher des israelischen Außenministeriums, Jigal Palmor, sagte der dpa: "Amnesty lügt durch Auslassungen und auf andere Weise". Die Organisation spreche Israel schlicht das Recht auf Selbstverteidigung ab. Der Bericht sei von "Einseitigkeit, Diskriminierung und Rassismus" geprägt.
Auch die Armee kritisierte den Bericht scharf. "Amnesty ignoriert völlig den drastischen Anstieg palästinensischer Gewalt" gegen Israelis. Die Organisation habe keine Ahnung von den Herausforderungen, mit denen die israelischen Sicherheitskräfte konfrontiert seien, hieß es in einer schriftlichen Stellungnahme.
Amnesty vermutet geplante Aktionen
2013 seien 132 Israelis durch Steine und andere Angriffe verletzt worden, schreibt die Armee. Mehr als 5000 Mal hätten Palästinenser im vergangenen Jahr Israelis im Westjordanland mit Steinen beworfen. Zudem seien 66 weitere Terroranschläge registriert worden, darunter Angriffe mit Schusswaffen, Sprengsätzen und Messern sowie die Entführung und Ermordung von Soldaten.
Der Direktor des Nahost- und Nordafrika-Programms von Amnesty, Philip Luther, erklärte dagegen: "Der Bericht enthält Beweise für ein schreckliches Muster ungesetzlicher Tötungen und ungerechtfertigter Verletzungen palästinensischer Zivilisten durch israelische Einheiten im Westjordanland". In dem 74 Seiten langen Papier listet Amnesty die Tötung von 45 Palästinensern im Westjordanland durch israelische Truppen seit 2011 auf. Vier der Opfer seien Minderjährige gewesen.
Mindestens 261 Palästinenser seien durch scharfe Munition schwer verletzt worden, mehr als 8000 Menschen durch Stahlgeschosse mit Hartgummimantel sowie Tränengas und andere Einsatzmittel. Unter ihnen seien 1500 Minderjährige gewesen. In keinem der Fälle sei das Leben von Israelis gefährdet gewesen. Amnesty wirft Israel eine "kaltschnäuzige Missachtung menschlichen Lebens" vor.
Die Organisation vermutet, dass es sich nicht um Exzesse einzelner Soldaten handelt. "Die Häufigkeit und Dauer willkürlicher und herabwürdigender Gewalt gegen friedliche Demonstranten im Westjordanland durch israelische Soldaten und Polizisten und die ihnen gewährte Straflosigkeit lassen darauf schließen, dass es sich um eine von oben geplante Aktion handelt", heißt es in dem Bericht.
Palästinenser lehnen Verlängerung von Friedensgesprächen ab
Zeitgleich mit der Veröffentlichung haben die Palästinenser nach Angaben ihres Chefunterhändlers eine Verlängerung der Friedensgespräche mit Israel abgelehnt. Eine Fortsetzung der Gespräche über die Ende April auslaufende Frist für den Abschluss eines Friedensvertrags hinaus ergebe "keinen Sinn", solange Israel internationales Recht verletze, sagte der Chefunterhändler Sajeb Erakat am Donnerstag. Die israelische Armee tötete bei einer Razzia im besetzten Westjordanland einen von ihr gesuchten Palästinenser.
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Mit der derzeitigen israelischen Regierung und ihrer Politik könne es nicht einmal eine Verlängerung "um eine einzige Stunde" geben, sagte Erakat. "Bei einem ernsthaften Partner hätten wir nicht einmal neun Stunden gebraucht, um zu einem Abkommen zu kommen", fügte er hinzu. Doch in Israel gebe es keinen Partner, der für einen "wirklichen Frieden oder das Völkerrecht" eintrete.
Israel hatte sich für Verlängerung der Gespräche ausgesprochen
Der palästinensische Chefunterhändler reagierte damit auf Äußerungen von US-Außenminister John Kerry. Dieser hatte den beiden Konfliktparteien nach dem Start der jüngsten Verhandlungsrunde Ende Juli eine neunmonatige Frist für eine Einigung gegeben, zuletzt aber eine Verlängerung angeregt. Am Mittwoch hatte Kerry Journalisten gesagt, seiner Ansicht nach wäre niemand besorgt, wenn sich die Verhandlungen um das "Rahmenabkommen" noch weitere neun Monate hinzögen. Die israelische Führung hat sich bereits für eine Verlängerung der Gespräche über den 29. April hinaus ausgesprochen.
Die Palästinenser wollen bei den Verhandlungen einen Rückzug Israels auf die Grenzen von 1967 erreichen, Ostjerusalem soll zur Hauptstadt eines Palästinenserstaates und der israelische Siedlungsbau in den Palästinensergebieten gestoppt werden. In Israel wird dies von den meisten Parteien und der Öffentlichkeit abgelehnt. (dpa/afp)