Istanbul/Berlin. Der deutsche Verfassungsschutz warnt vor terroristischen Anschlägen durch islamistische Syrien-Heimkehrer. Etwa 300 Islamisten aus Deutschland sind offenbar in das Krisenland gereist, um sich am Bürgerkrieg zu beteiligen. Der “Dschihad-Tourismus“ beunruhigt inzwischen viele Staaten.

Aschraf hat ein Wochenende mit Freunden in Istanbul geplant. Der junge Tunesier will ausgehen, tanzen, Spaß haben. Doch aus dem Disco-Wochenende in der türkischen Metropole wird nichts. Am Flughafen von Tunis stoppt ihn der Polizist während der Passkontrolle. Ein junger Mann, der allein in die Türkei reist, das erscheint verdächtig. "Woher sollen wir denn wissen, dass du von Istanbul aus nicht weiter reist zum Dschihad nach Syrien?", fragt der tunesische Polizist.

Tatsächlich gehören Tunesier neben Libyern und Saudis zu den Nationalitäten, die unter den in Syrien operierenden Terroristen besonders stark vertreten sind. Die meisten der Tunesier haben noch nie eine Waffe in der Hand gehabt - im Gegensatz zu den Libyern, die 2011 im Kampf gegen die Truppen von Diktator Muammar al-Gaddafi Kampferfahrung sammeln konnten. Deshalb sterben sie oft schon kurz nach der Ankunft. So wie der junge Vater, der sich kürzlich von einem Prediger in einer Kleinstadt südlich von Tunis für den Kampf in Syrien anwerben ließ. Schon zwei Wochen nach seiner Ankunft erhielt seine Mutter die Nachricht vom Tod ihres Sohnes. Seine Leiche wurde von anderen "Gotteskriegern" vor Ort bestattet.

Rückkehrer nach Saudi-Arabien erwartet inzwischen Haftstrafe

Ein Kämpfer der syrischen Salafisten-Brigade Ahrar al-Scham berichtet: "Als die ausländischen Kämpfer nach Tell Abjad kamen, waren wir erst froh, weil wir dachten, mit ihrer Hilfe könnten wir das Regime besiegen. Doch dann hat die Gruppe Islamischer Staat im Irak und in Syrien (ISIS) uns den Krieg erklärt."

Der Syrer mit dem Kampfnamen Abu Bakr war im vergangenen Januar aus Tell Abjad in die Türkei geflohen, nachdem ISIS-Terroristen den Grenzübergang in Tell Abjad erobert hatten. Der 35-jährige Pharmazie-Student hält sich seither in Istanbul mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Er sagt, er habe vor seiner Flucht noch jungen ISIS-Kämpfern aus Saudi-Arabien bei der Rückkehr in ihre Heimat geholfen.

"Es waren drei Brüder, die nach Syrien gekommen waren, um gegen das Regime von Baschar al-Assad kämpfen. Als die ISIS-Leute dann anfingen, die Revolutionäre anzugreifen, wollten sie lieber wieder nach Hause. Ich habe ihnen gesagt, sie sollen einfach ihre Waffen wegwerfen und in Zivilkleidung zu mir kommen. Der jüngste der Brüder war nur 16 Jahre alt", erzählt Abu Bakr.

Insgesamt hat der "Dschihad-Tourismus" nach Syrien, dem sich auch mehrere Hundert Muslime aus Europa angeschlossen haben, inzwischen ein Ausmaß angenommen, das auch Staaten beunruhigt, die den Strom sunnitischer Kämpfer in das Bürgerkriegsland anfangs noch wohlwollend beobachtet oder sogar aktiv gefördert hatten. König Abdullah von Saudi-Arabien hat vor drei Wochen verkündet, wer sich an bewaffneten Konflikten im Ausland beteilige, müsse nach seiner Rückkehr mit einer Gefängnisstrafe zwischen 3 und 20 Jahren rechnen.

Beobachter vermuten, dass der Monarch mit seinem Dekret zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen wollte: Er wehrt sich gegen den Vorwurf, das saudische Herrscherhaus fördere den "Dschihad" in Syrien. Gleichzeitig übermittelt er den bereits in Syrien kämpfenden Saudis, die nach ihrer Rückkehr eine Gefahr für die Stabilität seines Königreiches darstellen könnten, die Botschaft: Bleibt bloß, wo ihr seid, sonst landet ihr im Gefängnis!

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"Der Koran ist unser Gesetzbuch"

Der UN-Sicherheitsrat hat am vergangenen Wochenende eine Resolution verabschiedet, die alle ausländischen Kämpfer auffordert, das Bürgerkriegsland zu verlassen. Damit meint er nicht nur die ISIS-Terroristen, sondern auch die schiitischen Milizionäre, die zu Tausenden aus dem Libanon und aus dem Irak nach Syrien gekommen sind, um auf der Seite des Regimes von Präsident Baschar al-Assad zu kämpfen. Doch wer meint, Syrien sei sein letzter Halt auf dem Weg ins Paradies, der lässt sich auch von UN-Resolutionen nicht aufhalten.

Seinen langen Salafisten-Bart hat Abu Bakr nach seiner Ankunft in Istanbul abrasiert, "weil das bei der Jobsuche hier sonst Probleme gegeben hätte". Seine Brigade, die zu den größten Kampfverbänden in Syrien gehört, will, dass Syrien eines Tages ein "islamischer Staat" wird. "Der Koran ist unser Gesetzbuch", sagt er. Die oppositionelle Nationale Syrische Allianz, die in Genf Friedensverhandlungen mit dem Regime aufgenommen hat, hält er für irrelevant.

Deutscher Verfassungsschutz-Chef besorgt über Anschläge durch Syrien-Rückkehrer 

Auch deutsche Sicherheitsbehörden sind zunehmend besorgt über islamistische Kämpfer, die aus dem Syrien-Krieg nach Deutschland zurückkehren. "Wir haben zu etwa einem Dutzend dieser Personen Erkenntnisse, dass sie sich aktiv am bewaffneten Kampf in Syrien beteiligt haben", erklärte der Präsident des Bundesverfassungsschutzes, Hans-Georg Maaßen, am Mittwoch. "Damit wächst die Gefahr terroristischer Handlungen auch in Deutschland."

Der Strom von Dschihadisten aus Deutschland nach Syrien sei unterdessen ungebrochen, die Zahlen stiegen kontinuierlich an. Seit Beginn des Bürgerkriegs seien rund 300 Islamisten dorthin ausgereist, aus der gesamten EU etwa 2000. Es gebe Hinweise, wonach bereits mehr als 20 aus Deutschland stammende Islamisten in den Kämpfen in Syrien getötet worden seien.

Rückkehrer genießen in Islamisten-Szene Heldenstatus

Insgesamt seien bisher etwa 20 bis 30 Islamisten aus dem Bürgerkrieg nach Deutschland zurückgekommen, verlautete aus Sicherheitskreisen. Etwa ein Dutzend von ihnen gelte immer noch als radikal. Sie könnten mit Waffen umgehen und Bomben bauen. "Im Grundsatz kann man diesen Personen Anschläge zutrauen", hieß es in Sicherheitskreisen. Die Islamisten würden nun observiert, um Gewalttaten zu verhindern. Es gebe Anzeichen, wonach Syrien-Heimkehrer in anderen europäischen Ländern bereits Anschlagspläne geschmiedet hätten. Diese seien jedoch vereitelt worden.

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Von den Rückkehrern gehe allerdings auch eine indirekte Gefahr aus, weil sie in der Islamisten-Szene Heldenstatus genössen und weitere Menschen radikalisieren oder zur Ausreise animieren könnten, hieß es.

Nach Angaben des Verfassungsschutzes ist unter den nach Syrien Ausgereisten ein relativ hoher Anteil von Konvertiten. Etwa zehn Prozent von ihnen seien nicht als Muslime geboren, sondern erst später zum Islam übergetreten, erklärte die Behörde. Unter den Ausgereisten seien auch etwa ein Dutzend Minderjährige.

Auch der Frauenanteil liege überraschend hoch: Die Zahl der Frauen, die mit eigener islamistischer Motivation und nicht nur als Familienangehörige von Dschihadisten nach Syrien ausgereist seien, liege bei sieben Prozent. Nach Angaben aus Sicherheitskreisen ist das Phänomen der allein in den Dschihad reisenden Frauen relativ neu, für den Schauplatz Afghanistan und Pakistan sei dies früher nicht festgestellt worden. (dpa/rtr)