Kahramanmaras/Istanbul. Je länger der Bürgerkrieg in Syrien andauert, desto größer wird die Gefahr, dass eine junge Generation von Syrern heranwächst, die von Extremisten mit radikalen Ideen geimpft wurde. Salafisten mit Beziehungen in die Golfstaaten sind da besonders aktiv - und haben potente Geldgeber.

"Können Sie uns garantieren, dass ihre liberalen Ideen unsere Kinder nicht infizieren werden?", fragt die Direktorin der syrischen Flüchtlingsschule. Der US-Fotograf David Gross, der an ihrer Schule in Istanbul einen Kunsttherapie-Workshop für Kinder mit Kriegserlebnissen organisieren will, kann die strenge Dame beruhigen. Er wolle die Schüler nur fotografieren, während sie malen, beteuert er. Doch im Kampf um die beschädigten Seelen der 2,3 Millionen Kinder, die durch den Bürgerkrieg in Syrien keinen oder nur sehr beschränkten Zugang zu Bildung haben, sind westliche Nichtregierungsorganisationen ohnehin unterlegen.

Denn an dieser Front kämpfen in den syrischen Rebellengebieten und in den Flüchtlingsgemeinden schon lange radikale islamistische Parteien und Gruppierungen, die dafür zum Teil üppige Zuwendungen aus den arabischen Golfstaaten erhalten. In den Schulen der Al-Nusra Front im Umland von Damaskus oder in der Provinz Aleppo lernen Kinder zwar auch Rechnen und das Alphabet. Doch der Schwerpunkt liegt auf einem sunnitisch-islamischen Religionsunterricht, in dem Hass auf Andersgläubige gepredigt wird.

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Werbung für den "Heiligen Krieg"

Auf Videos, die in den vergangenen Wochen auf Islamisten-Websites veröffentlicht wurden, ist beispielsweise zu sehen, wie Jungen in einer Koranschule der Al-Nusra Front Werbung für den "Heiligen Krieg" machen. Die Kinder sind etwa fünf bis 14 Jahre alt. Sie tragen schwarze Gewänder und Stirnbänder mit dem islamischen Glaubensbekenntnis. Die älteren Kinder bedecken ihre Gesichter mit Sturmmasken wie die erwachsenen Kämpfer der Al-Nusra-Front, die von westlichen Geheimdiensten als Terrororganisation eingestuft wird.

"Junge Löwen der Al-Nusra Front" steht auf einem Banner, das in der Moschee aufgehängt wurde, die den Extremisten als Klassenzimmer dient. Nach Angaben der Islamisten, die das Video verbreitet haben, wurde es im östlichen Umland der Hauptstadt Damaskus aufgenommen.

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"Eine neue Generation von Hasserfüllten"

"Ziel der Salafisten ist es, eine neue Generation von hasserfüllten jungen Menschen heranzuziehen. So wie es die Taliban einst in Afghanistan getan haben. Diese Kinder werden in 20 Jahren eine Gefahr nicht nur für Syrien sein. Deshalb ist es wichtig, dass moderne Syrer und westliche Nichtregierungsorganisationen ein Gegengewicht dazu bilden", sagt der Syrer Alaa H. (26). Seinen vollständigen Namen will der Videoproduzent, der nach Beginn des Aufstandes gegen Präsident Baschar al-Assad 2011 in die Türkei geflüchtet war, nicht veröffentlicht sehen.

In den arabischen Nachbarstaaten Syriens können die Flüchtlingskinder zum Teil örtliche Schulen besuchen. In der Türkei fällt ihnen das schon wegen der fremden Sprache schwer. "Es gibt keine umfassende Statistik, denn ständig werden neue Schulen eröffnet oder bestehende Schulen müssen schließen, wenn ihnen das Geld für Lehrer und Miete ausgeht", erklärt der Berater der Übergangsregierung der syrischen Opposition für Erziehungsfragen, Abderrahman al-Hadsch. Aktuell wisse er von 96 syrischen Schulen, die von Privatleuten oder Initiativen in der Türkei gegründet worden seien.

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Schulangebot in den Flüchtlingslagern ist dürftig

Das Angebot an Schulen in den meisten syrischen Flüchtlingslagern ist dürftig und kommt oft viel zu spät. Doch zumindest gibt es hier ein Mindestmaß an Kontrolle, was die Lerninhalte angeht. In dem türkischen Lager Islahihija nahe der syrischen Grenze wurde beispielsweise erst vor wenigen Wochen in Kooperation mit dem Kinderhilfswerk Unicef eine Schule für rund 2500 Kinder eröffnet. Viele der Schüler, die dort jetzt unterrichtet werden, haben seit zwei oder sogar drei Jahren keinen Unterricht mehr gehabt.

Dass radikale Gruppierungen die Notlage der Vertriebenen und Flüchtlinge ausnutzen, um unter den Kindern, die nach Wissen dürsten, ihre zweifelhafte Ideologie zu verbreitet, findet Al-Hadsch bedenklich: "Sie verbauen diesen Schülern die Zukunft." Er warnt jedoch davor, andere islamische Gruppen, die sich mit guten Absichten im Bereich Schulbildung engagierten, mit diesen Extremisten, "deren Anzahl nicht groß ist", in einen Topf zu werfen. (dpa)