Bottrop. . Alkoholsucht, berufliches Aus, Scheidungen: Drei Männer erzählen, wie Pädophile ihr Leben zerstörten. Mit den Taten abfinden können sie sich nicht. Nun hoffen sie, dass die Verjährungsfrist für sexuellen Missbrauch fällt – damit sie ihre Täter auch noch nach 30 Jahren juristisch belangen können.
Ein Bundestagsabgeordneter, der bei einem internationalen Kinderpornoring Nacktfilme von Knaben bestellt haben soll: Als Markus Elstner von der Affäre Sebastian Edathy hörte, kam sofort seine eigene Geschichte wieder hoch. Die des zwölfjährigen Messdieners, der auserwählt war, beim charismatischen Kaplan an den Wochenenden zu übernachten. Was wie eine Auszeichnung wirkte, fügte dem heute 47-jährigen Bottroper schweren Schaden zu.
Elstner wurde schwer missbraucht. Gefügig machte ihn der junge Geistliche mit Alkohol – und mit Geld. „Ich kaufte mir davon ein Skateboard“, sagt Markus Elstner. Es trug den Schriftzug „Alien“. Der Bottroper hat es nie weggeworfen: „Als Außenseiter fühle ich mich noch immer.“
Der Täter ist als Kinderschänder bekannt
Der Täter ist als Kinderschänder bekannt und auch vorbestraft. Es handelt sich um Peter H., der 1979 unter Joseph Ratzinger vom Bistum Essen nach Bayern versetzt wurde, nachdem Übergriffe auf Kinder bekannt geworden waren. Denn wie Markus Elstner erging es auch anderen Jungen.
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Doch statt Peter H. anzuzeigen, schickte das Bistum ihn zunächst von Bottrop nach Essen. Dort missbrauchte er weitere Kinder, darunter einen elfjährigen Jungen. Dessen Eltern sorgten dafür, dass H. aus dem Bistum verschwand, um in Bayern als Seelsorger unterzutauchen.
Während die Geschichte von Peter H. als charismatischem Pfarrer, der immer wieder die Gelegenheit bekommt, sich an Kindern zu vergreifen, nun erst beginnt, ist für Markus Elstner die unbeschwerte Jugend beendet. „Ich hatte keine Ahnung, was mit mir passierte, denn niemand hatte mich aufgeklärt.“ Die Bilder aber holen ihn heute immer noch ein.
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Als sich im Jahr 2010 der Missbrauchskandal der katholischen Kirche entfaltete, als das Berliner Canisius-Kolleg oder das Bonner Aloisius-Kolleg als berühmt-berüchtigte Tatorte durch die Medien gingen, „da waren die Bilder wieder da“. Auch das Treiben des Peter H. ging durch die Presse.
Seinem frühen Opfer Elstner wurde damals klar: „Es geht nie um die Opfer. Es geht immer nur um die Täter.“ Endlich, dreißig Jahre später, erstattete er Anzeige. Doch es war zu spät, der Missbrauch war verjährt. Peter H. musste sich nur für spätere Taten verantworten.
Von Fußballtrainer missbraucht
Bei vielen Opfern aus den 70er- und 80er-Jahren trat der Missbrauchskandal eine Lawine los. Endlich trauten sie sich, von ihren Erlebnissen zu erzählen. So wie Karl Görtz. Der heute 57-Jährige wurde von seinem Fußballtrainer missbraucht. Bis 2001 konnte er verdrängen, „dann ergriff ein Trauma von mir Besitz“. Es folgten ein Selbstmordversuch und das berufliche Ende des Industriemeisters. „Ich konnte meine Erlebnisse nicht mehr abschütteln“, erklärt er.
Zwei Mal kam er in die Psychiatrie. Eine Psychologin riet ihm, trotz Verjährung den Fußballtrainer anzuzeigen. „Ich unterschrieb die Aussage, dann habe ich von der Polizei nie wieder etwas gehört.“ Der Täter trainierte damals immer noch Kinder. „Ich konnte nichts dagegen unternehmen. Das hat mich wahnsinnig gemacht.“
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Peter Timmer (57) ist trockener Alkoholiker. „Es gab Zeiten, da habe ich täglich zwei Flaschen Wodka getrunken, um nicht zu Bewusstsein zu kommen.“ Gelehrt hatte ihn das Trinken Horst G., ein katholischer Pfarrer, der sich das Vertrauen des evangelischen Kindes erschlich. Vier Ehen hat der gelernte Schreiner hinter sich, auch einen Alkoholrückfall im Jahr 2010, als der Missbrauchskandal auf dem Höhepunkt war.
5000 Euro Entschädigung
Die katholische Kirche hat Timmer und Elstner als Missbrauchopfer anerkannt, ihnen Geld aus dem Entschädigungsfonds gezahlt. 5000 Euro für Elstner, 8000 Euro für Timmer. Beide konnten nichts damit anfangen, sie haben es sofort ausgegeben, verschenkt und gespendet. Obwohl sie von Hartz IV leben, weil sie viel zu unstet sind, viel zu belastet, um sich einem festen Job zu widmen. „Ich hätte mich als Nutte gefühlt“, sagt Timmer leise.
Seit einiger Zeit gehören Timmer und Görtz zur Selbsthilfegruppe, die Markus Elstner ins Leben rief. Nun will Elstner die Gemeinde aufrütteln und dafür kämpfen, dass die Verjährungsfrist bei sexuellem Missbrauch aufgehoben wird. Ob er damit nicht Ärger heraufbeschwöre mit Gemeindemitgliedern, die sich vor den Kopf gestoßen fühlen? „Hoffentlich“, sagt Elstner. „Ich bin doch im Recht.“