Berlin. Rückgabe des Mandats, Hausdurchsuchungen, Schweigen der Ermittler: Der Fall des SPD-Politikers Edathy ist undurchsichtig. Er selbst weist den Verdacht auf Besitz von Kinderpornografie strikt zurück und kritisiert die Staatsanwaltschaft. Jetzt wurde bekannt: SPD-Chef Sigmar Gabriel wusste bereits im Oktober 2013 über mögliche Ermittlungen Bescheid.
Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel ist bereits im Oktober 2013 von dem damaligen Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) über mögliche Ermittlungen gegen Sebastian Edathy informiert worden. Das teilte der SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Oppermann am Donnerstag in einer Erklärung mit.
Der Name Edathy sei bei Ermittlungen im Ausland aufgetaucht. "Dabei - so die damalige Auskunft an den Parteivorsitzenden - gehe es ausdrücklich nicht um strafbare Inhalte." Allerdings hieß es damals, es werde möglicherweise zu strafrechtlichen Ermittlungen kommen, heißt es in der Erklärung weiter.
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"Sigmar Gabriel hat darüber den Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier und mich als 1. Parlamentarischen Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion informiert", teilte Oppermann mit. "Ich habe mir diese Informationen im Oktober 2013 in einem Telefonat von BKA-Präsident Jörg Ziercke bestätigen lassen."
Gabriel, Steinmeier und er hätten sich darüber verständigt, die Informationen vertraulich zu behandeln, um mögliche Ermittlungen nicht zu gefährden. "Nach ihrer Wahl habe ich im Dezember 2013 Christine Lambrecht als meine Nachfolgerin als 1. Parlamentarische Geschäftsführerin informiert", so Oppermann.
BKA-Präsident widerspricht Oppermann im Fall Edathy
Der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, hat am Donnerstagnachmittag allerdings die Angaben von SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann im Fall Edathy zurückgewiesen. Er habe sich in einem Telefonat im Oktober 2013 Oppermanns Ausführungen angehört, dass bei Ermittlungen im Ausland der Name Sebastian Edathy aufgetaucht sei, aber keine Informationen zum Sachverhalt mitgeteilt, teilte Ziercke mit.
Bundestagspräsident Norbert Lammert ist nach Angaben des Bundestags nicht im Vorfeld über mögliche Ermittlungen gegen den SPD-Politiker Sebastian Edathy informiert worden. Das teilte ein Sprecher am Donnerstag der Nachrichtenagentur dpa mit.
Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) ist Ende Oktober 2013 über mögliche Ermittlungen gegen Edathy informiert worden. Pistorius habe diese Information von Göttingens Polizeipräsidenten Robert Kruse bekommen, sagte ein Sprecher des Ministers am Donnerstagabend zu einem Bericht der "Neuen Presse".
FDP-Vize Kubicki fordert Ermittlungen gegen Friedrich
Im Fall Edathy hat FDP-Vize Wolfgang Kubicki Ermittlungen gegen Ex-Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich gefordert. Wegen des möglichen Verrats von Dienstgeheimnissen und wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt solle die Staatsanwaltschaft in Niedersachsen umgehend gegen Friedrich und andere Beteiligte ermitteln. "Wenn da nicht sofort gehandelt wird, dann "Gute Nacht Deutschland"", sagte Kubicki der "Leipziger Volkszeitung".
Edathy hatte am Freitag nach über 15 Jahren im Bundestag sein Mandat niedergelegt - er nannte dafür gesundheitliche Gründe. Nach Bekanntwerden der Ermittlungen wies er den Vorwurf des Besitzes von Kinderpornografie zurück.
Die Probleme der Staatsanwaltschaft bei den Ermittlungen
Die Staatsanwaltschaft hat bei den Durchsuchungen in Büros und Wohnungen des SPD-Politikers Sebastian Edathy nur wenig Material gefunden. Bei den Aktionen am Montag sei man lediglich auf schriftliche Dokumente gestoßen, sagte am Donnerstag ein Vertreter der Ermittlungsbehörden der dpa in Hannover. Am Mittwoch sei dann ein Computer aus einem Büro in Edathys Heimatort Rehburg mitgenommen worden. Weitere Rechner seien offensichtlich zuvor entfernt worden. "Wir sind in eine Situation gekommen, in der die Durchsuchungen nicht mehr gegriffen haben", sagte der Ermittler nachdem bekanntgeworden war, dass die SPD-Spitze schon im Herbst vom Verdacht erfahren hatte.
Die Weitergabe von Informationen im Fall des SPD-Politikers Sebastian Edathy könnte nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft Hannover möglicherweise ihre Arbeit behindert haben. "Wenn Informationen über mögliche strafrechtliche Ermittlungen durchgestochen werden, ist das stets ein Vorgang, der Ermittlungen einer Staatsanwaltschaft erheblich gefährden kann", sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Hannover, Kathrin Söfker, am Donnerstag der Zeitung "Die Welt".
Der rätselhafte Fall Edathy
Die Vorgänge um Sebastian Edathy werfen viele Fragen auf. Der SPD-Politiker hat sich nach Rückgabe seines Bundestagsmandats und Durchsuchungen seiner Wohnungen und Büros erstmal zurückgezogen. Er weist via Facebook und "Spiegel online" Vorwürfe zurück, Kinderpornografie besessen zu haben, und greift die Staatsanwaltschaft Hannover an. Die schweigt dazu, was sie gegen den langjährigen Abgeordneten konkret in der Hand hat.
Wie glaubwürdig ist Edathys Erklärung vom Wochenende, er ziehe sich aus gesundheitlichen Gründen aus dem Bundestag zurück?
Mitglieder der SPD-Fraktion berichten, dass es dem 44-Jährigen seit Monaten nicht gut ging, von akuten Erschöpfungssymptomen war die Rede. Seit Oktober gab es kaum noch neue Mitteilungen auf seiner Internetseite. Auch bekam Edathy nach der Bundestagswahl keinen herausgehobenen Posten in der großen Koalition. Seinen Mitarbeitern bedeutete er frühzeitig, sich etwas Neues zu suchen, eine Mitarbeiterin kam im Umweltministerium unter. In der SPD wähnt man Edathy derzeit in Dänemark. Die Frage ist auch, wann genau die Partei von einem möglichen Verdacht gegen ihn erfahren hat.
Gab es einen Zusammenhang mit den Ermittlungen?
Das ist unklar. Seit Januar war der SPD-Politiker krankgeschrieben, ein offizieller Antrag auf Aufhebung der Immunität lag laut Bundestag nicht vor. Erst nachdem Edathy sein Mandat aufgegeben hatte, kam es zu den Durchsuchungen. Der "Spiegel" berichtet, dass sich Hinweise auf ihn bei Ermittlungen gegen einen Kinderporno-Ring gefunden haben sollen. Laut kanadischer Polizei geht es um ein Online-Portal, bei dem Videos und Bilder mit kinderpornografischen Darstellungen bestellt werden konnten. Die Informationen über mögliche Kunden des Portals wurden an über 50 Länder weitergereicht. Am Mittwoch gab es in einem weiteren Büro in seinem niedersächsischen Heimatort Rehburg eine Durchsuchung - es war am Montag scheinbar vergessen worden.
Warum gab es die Razzia?
Laut Strafprozessordnung ist eine Durchsuchung nur dann zulässig, wenn eine Person "als Täter oder Teilnehmer einer Straftat oder der Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig ist". Also muss es einen begründeten Anfangsverdacht geben. Doch Edathy betont: "Nach mir vorliegenden Informationen wirft mir die Staatsanwaltschaft ausdrücklich kein strafbares Verhalten vor." Diese weist den Vorwurf zurück, nicht rechtmäßig vorgegangen zu sein. Dass die Lokalzeitung "Die Harke" ein Foto von der Aktion veröffentlichte, hat nun auch Niedersachsens Justizministerin Antje Niewisch-Lennartz (Grüne) auf den Plan gerufen - sie fordert eine Erklärung der Ermittler.
Welche Rolle spielt die SPD-Bundestagsfraktion?
Fraktionschef Thomas Oppermann fordert zwar im Sinne Edathys eine rasche und gründliche Aufklärung. Aber die Parlamentarische Fraktionsgeschäftsführerin Christine Lambrecht sprach als erste öffentlich vom Vorwurf auf Besitz von Kinderpornografie - und musste einräumen, dass sie sich nur auf Medienberichte beziehe. Der frühere SPD-Abgeordnete Jörg Tauss, der wegen Besitzes und Weitergabe kinderpornografischen Materials 2010 zu 15 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt wurde, kritisiert in einem offenen Brief seine früheren Fraktionskollegen scharf und warnt vor Vorverurteilung. "Wie in meinem Fall war übrigens die Presse vor mir von den Büro- und Hausdurchsuchungen informiert." Tauss hatte sich damals mit dem Argument verteidigt, dass er für die Abgeordnetentätigkeit Erkenntnisse über Verbreitung von Kinderpornografie gewinnen wollte.
Was versteht man unter Kinderpornografie?
Mit dem Begriff Kinderpornografie wird die strafbare Abbildung von sexuellen Handlungen von, an und vor Kindern unter 14 Jahren bezeichnet. Für das Herstellen, Verbreiten und Vorführen kinderpornografischer Schriften sieht Paragraf 184b des Strafgesetzbuches Freiheitsstrafen von drei Monaten bis zu fünf Jahren vor. Für den Besitz sind Geldstrafen oder Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren vorgesehen. Zu Schriften zählen dabei auch Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen. (dpa)