Bern. . Die rechtskonservative Schweizerische Volkspartei will mit einem Referendum die Zuwanderung aus der Europäischen Union begrenzen. Die Vorbehalte im Alpenstaat sind vergleichbar mit jenen, die sich hierzulande gegen Rumänen oder Bulgaren richten. Die SVP jedoch hat Fachkräfte aus Deutschland im Fokus.
Sie sind zwischen Bern und Zürich, zwischen Basel und Luzern kaum zu übersehen: Plakate, die die Schweiz im Würgegriff zerstörerischer Baumwurzeln zeigen. Wo der Stamm mit Ästen und Äpfeln steht, wird bald klar: in Deutschland.
Während hierzulande Bulgaren und Rumänen als Prügelknaben in der Zuwanderungsdebatte herhalten müssen, sind es in der Schweiz die Deutschen. Mit einem Referendum am 9. Februar strebt die nationalkonservative Schweizerische Volkspartei (SVP) die Wiedereinführung von Obergrenzen für die Zuwanderung von EU-Bürgern an.
Rückstand in den Meinungsumfragen
Besonders betroffen wären Bürger der Bundesrepublik, die in der Alpenrepublik auf Jobsuche gehen. Rund 300.000 – oft hoch qualifizierte - Deutsche leben derzeit in der Schweiz. Mit einem Anteil von fast 16 Prozent unter den 1,8 Millionen Ausländern stehen sie hinter den Italienern an zweiter Stelle.
Nach derzeitigem Stand hat die von der SVP eingebrachte Initiative wenig Chancen auf eine Mehrheit. Nach einer aktuellen Umfrage des Schweizer Rundfunks würden 55 Prozent der Stimmberechtigten sie ablehnen, 37 Prozent hingegen sympathisieren mit den Rechtspopulisten, die in der Vergangenheit durch rassistische Kampagnen international Schlagzeilen gemacht hatten. So warb die SVP 2007 für die Abschiebung von kriminellen Ausländern mit einem schwarzen Schaf.
Kaum Sympathien in der Westschweiz
Auf großen Widerstand stoßen die Pläne der rechtskonservativen Partei in der französischsprachigen Westschweiz, obwohl dort die Zuwanderung besonders stark ausgeprägt ist. Dort kommen die SVP und ihr Stratege Christoph Blocher nur mit Mühe auf eine Zustimmung von 25 Prozent der Stimmberechtigten. Auf mehr Sympathien kann der Sohn eines protestantischen Pfarrers, dessen Vorväter aus Württemberg stammen, in den deutschsprachigen Landesteilen zählen. Deshalb zeigt sich der milliardenfrankenschwere Unternehmer weiter optimistisch. „Wir beginnen ja erst richtig“, ließ Blocher verlauten und hofft darauf, bis zum Urnengang in drei Wochen seine Anhängerschaft mobilisieren zu können.
Der stärkste Widerstand gegen die SVP-Pläne kommt aus der Wirtschaft. Deren Verbände haben jüngst vor einer Begrenzung der Zuwanderung aus der EU gewarnt und zur Ablehnung der Vorlage aufgerufen. Sie verschärfe nicht nur den Fachkräftemangel, sondern gefährde die Zusammenarbeit der Schweiz mit der EU. Auf Einschränkungen der Personenfreizügigkeit würde Brüssel mit der Kündigung anderer bilateraler Abkommen reagieren, so die Unternehmer, die befürchten, dass die Schweiz ihren bevorzugten Zugang zum europäischen Binnenmarkt verlieren könnte. Das hätte enorme Nachteile für ihre Exportwirtschaft und würde viele Jobs kosten. „Abschottungstendenzen schaden dem Image unseres Landes“, sagte Elisabeth Zölch-Bührer, Präsidentin des Arbeitgeberverbandes der traditionsreichen Uhrenindustrie.
Christoph Blocher
Hinter dem Erfolg der SVP steckt der rechtskonservative Unternehmer Christoph Blocher (73). Er führte als die ursprünglich zentrumsorientierte Partei an den Rand des politischen Spektrums und machte sie so zur stärksten politischen Kraft der Schweiz (26,6%).
Blocher wuchs als siebtes von elf Kindern in einem Pfarrhaus in Laufen (Kanton Zürich) auf, studierte nach einer landwirtschaftlichen Lehre Jura und stieg danach bei der EMS-Chemie in Graubünden ein, die er Anfang der 80er-Jahre aufkaufte und anschließend erfolgreich sanierte. Blochers Privatvermögen wird auf zwei bis drei Milliarden Schweizer Franken geschätzt.
Schon als Student war Blocher politisch aktiv, engagierte sich für das Apartheidsregime in Südafrika, machte Front gegen den UNO-Beitritt (1986) und gegen den Beitritt der Schweiz zum Europäischen Wirtschaftsraum (1992). 2003 wurde Christoph Blocher mit knapper Mehrheit als Justizminister in den siebenköpfigen Bundesrat gewählt. 2007 unterlag er bei der Wiederwahl einer parteiinternen Gegenkandidatin.
Die Argumente der SVP gegen die Masseneinwanderung orientierten sich an nackten Zahlen: „Rund 80.000 Personen wandern jährlich mehr in unser Land ein als aus“, rechnet die Partei vor. „Das heißt: Jährlich entsteht neu eine Stadt in der Größe von Luzern oder St.Gallen.“ Überfüllte Züge, verstopfte Straßen, hohe Mieten, Umweltschäden und überforderte Sozialsysteme seien die Folgen.
Schweiz profitiert laut OECD von der Zuwanderung
Nach einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) profitiert dagegen die Schweiz finanziell massiv von der Zuwanderung. Würden alle Kosten für Verwaltung, Sozialwerke oder Infrastruktur, die die Zuwanderer verursachten, ihren Leistungen in Form von Steuern und Abgaben gegenübergestellt, blieben unter dem Strich mindestens 6,5 Milliarden Franken übrig.
Welche Konsequenzen eine Zustimmung zur Initiative hätte, stört die SVP nicht: Sie setzt auf darauf, in Nachverhandlungen mit der Europäischen Union wieder Einwanderungsquoten festlegen zu können.
Sanktionen sind wohl unausweichlich
Doch die EU-Kommission dürfte kaum tatenlos zusehen, wenn Bern die Verträge über die Personenfreizügigkeit verletzt. Kommissionspräsident José Manuel Barroso, dessen portugiesische Landsleute aus der Schweizer Gastronomie kaum noch wegzudenken sind, wies in der „Neuen Zürcher Zeitung“ süßsauer auf die Vorteile eines guten Verhältnisses der Schweiz zum Rest Europas hin: „Die EU gewährt der Schweiz einen privilegierten Zugang zu ihrem Binnenmarkt mit 500 Millionen Konsumenten.“ Mit anderen Worten: Sollte die Schweiz an der Freizügigkeit rütteln, dürften Sanktionen unausweichlich sein.
Wie distanziert das Verhältnis Europas zu den Schweizer Rechtsaußen heute schon ist, macht die Jahresbilanz des SVP-Politikers und amtierenden Verteidigungsministers Ueli Maurer deutlich, der 2013 turnusgemäss das Amt des Bundespräsidenten inne hatte und die Schweiz international repräsentieren durfte. Als einen Höhepunkt seiner Amtszeit stellte er stolz die Teilnahme an der Beerdigung Nelson Mandela dar. In Johannesburg sprach allerdings keiner der zahlreichen anwesenden Staats- und Regierungschefs mit Maurer. Bis auf den neuen niederländischen König Willem-Alexander. Der konnte sich dem geltungsbewussten Schweizer nicht entziehen. Beide trafen sich auf dem Pissoir. (NRZ/mit dpa und afp)