Istanbul. In der Türkei war das Online-Videoportal Vimeo am Freitag nicht erreichbar gewesen. Grund: eine Sperre. Die Regierung will Webseiten künftig auch ohne Gerichtsbeschluss blockieren können. Kritiker sprechen von “Zensur“. Derweil verliert die Regierung des Landes bei der Bevölkerung an Rückhalt.
Ein Gericht in der Türkei hat den Zugang zu der populären Videoplattform Vimeo gesperrt. Die Internetseite konnte am Freitag in dem Land nicht mehr aufgerufen werden und wurde durch einen kurzen Hinweis auf ein bereits am Mittwoch ergangenes Gerichtsurteil ersetzt. Gerichte in der Türkei haben in den vergangenen Jahren mehrfach Sperren angeordnet, von denen auch Youtube betroffen war.
Die Plattform Vimeo gehört der IAC InterActiveCorp, einem Betreiber von Internet-Plattformen, der unter anderem auch Reiseportale wie TripAdvisor, Expedia und hotels.com gehörten. Anders als Youtube setzt Vimeo ausschließlich auf private Videos und verzichtet auf Werbeeinblendungen.
Regierungskritische Medien berichteten am Freitag, Hintergrund könne eine Gesetzesverschärfung sein, mit der die islamisch-konservative Regierung mehr Kontrolle über das Internet bekommen wolle. Bei den Protesten im vergangenen Jahr waren Internetplattformen zu einer Hauptinformationsquelle geworden, weil Rundfunk und Zeitungen die Berichterstattung darüber zeitweise praktisch eingestellt hatten.
Sperren auch ohne vorherigen Gerichtsbeschluss
Die türkische Regierung will sich nach Presseberichten das Recht geben, Internetseiten ohne vorherigen Gerichtsbeschluss sperren zu lassen. Das gehe aus einem Gesetzentwurf der Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan hervor, berichteten mehrere türkische Medien. Demnach beinhaltet der Gesetzentwurf auch ein Recht für die Behörden, die Surf-Gewohnheiten von Internetnutzern aufzuzeichnen und zwei Jahre lang zu speichern.
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Kritiker bezeichneten den Entwurf als Einstieg in die Zensur. Der Internetexperte und Anwalt Mehmet Ali Köksal sagte der Zeitung "Evrensel", die geplanten Neuregelungen seien verfassungswidrig. Der Verband türkischer IT-Ingenieure warf der Regierung vor, die Meinungsfreiheit im Internet nicht hinnehmen zu wollen. Schon unter dem derzeit geltenden Internetgesetz können viele Websites relativ einfach gesperrt werden, jedoch ist dazu bisher ein Gerichtsbeschluss nötig.
Umfrage zeigt geringeren Rückhalt bei Wählerschaft
Derweil hat die islamisch-konservative Regierungspartei AKP des türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan einer Umfrage zufolge wegen der derzeitigen Korruptionsaffäre an Rückhalt in der Wählerschaft verloren.
In der Untersuchung des Instituts Sonar kam die AKP bei der Sonntagsfrage auf 42,3 Prozent, wie türkische Zeitungen am Freitag berichteten. Das sind rund acht Prozentpunkte weniger als bei der Parlamentswahl im Jahr 2011. In der Umfrage äußerte eine Mehrheit der rund 3000 befragten Wähler Unterstützung für die Korruptionsermittlungen gegen die Regierung.
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Bis zum Bekanntwerden der Korruptionsvorwürfe im Dezember hatte sich die AKP in den Umfragen bei durchschnittlich 50 Prozent halten können. Laut Sonar sind zwei von drei Türken überzeugt, dass es in der Umgebung der Regierung Korruptionsfälle gibt. Rund 60 Prozent der befragten Wähler sagten, die Korruptionsermittlungen seien gerechtfertigt. Knapp 58 Prozent äußerten Kritik an der Versetzung von Polizisten und Staatsanwälten in den vergangenen Tagen.
Bestechung, illegale Geschäfte und gesetzeswidrige Bauvorhaben
Istanbuler Staatsanwälte hatten dutzende Verdächtige festnehmen lassen, darunter auch die Söhne von zwei Ministern. Bei dem Skandal geht es unter anderem um die Bestechung von Politikern, um illegale Goldgeschäfte der staatlichen Halkbank mit dem Iran zu verheimlichen, sowie um illegale Bauvorhaben. Erdogan betrachtet die Ermittlungen als politisch motivierte Aktion regierungsfeindlicher Kräfte im Staatsapparat mit dem Ziel, der AKP vor den Kommunalwahlen am 30. März zu schaden. (dpa/afp)