Ankara. . Drei Minister haben die Partei des Regierungschefs verlassen. Zugleich tauchen immer neue Verdachtsfälle von Korruption auf – inzwischen soll auch Erdogans Sohn im Fokus der Ermittler stehen. Ein Istanbuler Staatsanwalt wurde von den Ermittlungen abgezogen. Er vermutet, dass Beweismittel vernichtet werden sollen.

Nach den Säuberungen im Polizeiapparat geht der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan jetzt in der Korruptionsaffäre gegen Kritiker in den eigenen Reihen vor: Aufmüpfige Abgeordnete sollen aus der Regierungspartei entfernt werden.

Zugleich erhebt einer der mit den Korruptionsermittlungen befassten Staatsanwälte schwere Vorwürfe: Man habe ihm den Fall entzogen, um Beweise zu vernichten.

Die Korruptionsvorwürfe gegen türkische Ministersöhne, Regierungspolitiker und regierungsnahe Geschäftsleute in der Türkei erschüttern jetzt auch die Partei von Ministerpräsident Tayyip Erdogan. Drei Abgeordnete erklärten am Freitag ihren Austritt aus der der islamisch-konservativen Gerechtigkeits- und Entwicklungspartei (AKP). Sie kamen damit einem Ausschlussverfahren zuvor, das wegen „parteischädigender Äußerungen“ gegen sie eingeleitet worden war.

Zunehmende Kritik am Regierungschef

Einer der drei, der frühere Kulturminister Ertugrul Günay, hatte auf Twitter die Absetzung von Polizeioffizieren als rechtwidrig kritisiert. Günay begründete seinen Austritt am Freitag damit, die Parteiführung decke belastete Politiker und gehe gegen jene disziplinarisch vor, die Rechenschaft über die Korruptionsvorwürfe verlangten.

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Ein anderer abtrünniger AKP-Politiker, der Abgeordnete Haluk Özdala, hatte im Zusammenhang mit den Korruptionsenthüllungen von einer „Staats- und Demokratiekrise“ gesprochen und an Staatspräsident Abdullah Gül appelliert, sich einzuschalten.

Der dritte zurückgetretene Abgeordnete, Erdal Kalkan, warf Erdogan vor, er führe die Partei, als sei sie „sein Eigentum“. Vor diesen drei Politikern hatte bereits der frühere Innenminister Idris Naim Sahin die Partei verlassen.

Polizeiführung verweigert angeordnete Festnahmen

Schwere Vorwürfe erhebt einer der mit den Korruptionsermittlungen befassten Staatsanwälte gegen den Regierungschef. Der Istanbuler Ankläger Muammer Akkas, der am Donnerstag von dem Fall abgezogen worden war, beklagte Druck seiner Vorgesetzten. Man habe ihm „ohne jede Rechtfertigung die Ermittlungen aus den Händen genommen“, erklärte Akkas.

Zuvor habe sich die neu eingesetzte Istanbuler Polizeiführung geweigert, von ihm angeordnete Festnahmen vorzunehmen. Dadurch hätten Beschuldigte Gelegenheit bekommen, Beweise zu vernichten. „Alle sollen wissen, dass meine Arbeit als Ankläger behindert wurde“, schreibt Akkas in einer am Freitag verbreiteten Erklärung. Der Istanbuler Chefankläger Turan Colakkadi sagte, man habe Akkas den Fall entzogen, weil er Ermittlungsdetails an die Medien gegeben und damit gegen die Dienstvorschriften verstoßen habe.

Neuer Verdacht gegen Erdogans Sohn

Die Zeitung „Radikal“ hatte am Mittwoch berichtet, Akkas gehe neuen Korruptionsvorwürfen nach, die weit über die bisherigen hinausgingen. Betroffen seien Politiker, hohe Staatsbeamte und einige Künstler. Im Zusammenhang mit den Ermittlungen fällt jetzt auch der Name von Bilal Erdogan, einem Sohn des Ministerpräsidenten.

Wie die oppositionsnahe Zeitung „Cumhuriyet“ berichtete, untersuchen Ermittler dessen Rolle als Vorstandsmitglied einer Nichtregierungsorganisation. „Cumhuriyet“ schrieb von einem bevorstehenden politischen „Erdbeben“.

Wert der Lira sinkt auf Rekordtief

Premier Erdogan bleibt dabei, dass es sich bei den Korruptionsvorwürfen um ein „Komplott“ gegen seine Regierung und ihn persönlich handelt. Am Freitag musste der angeschlagene Regierungschef jedoch eine Niederlage einstecken: Der Staatsrat, das oberste Verwaltungsgericht, annullierte eine von der Regierung erlassene Anordnung, wonach die Polizeibehörden bei Korruptionsermittlungen vorab ihre vorgesetzten Dienststellen, letztlich also den Innenminister, unterrichten müssen. Kritiker sahen darin einen Versuch, weitere Ermittlungen abzuwürgen.

An den Istanbuler Finanzmärkten sorgt die Korruptionsaffäre für zunehmende Verunsicherung. Die türkische Lira fiel am Freitag auf ein neues Rekordtief. Sie verlor gegenüber dem Dollar 2,3 und gegenüber dem Euro sogar 3,5 Prozent. Auch türkische Staatsanleihen und Aktien kamen massiv unter Verkaufsdruck. Der Leitindex der Bosporus-Börse brach um 3,6 Prozent ein. Er hat damit in dieser Woche bereits elf Prozent verloren.