Saylorsburg. Der muslimische Prediger Fethullah Gülen lebt seit fast 15 Jahren in den USA. Er soll der Drahtzieher der Ermittlungswelle gegen türkische Regierungsmitglieder sein. Inzwischen herrscht zwischen ihm und Erdogan ein Schlagabtausch – über Video-Botschaften und Zeitungsinterviews. Ein Besuch.

Wachhäuschen mit dunklen Scheiben und Videokameras. Absperr-Hütchen am Straßenrand. Schranke und Sicherheitspersonal. Einfach ist es nicht, die Mount Eaton Road Nr. 1857 in den Poconos zu erreichen. Die Zufahrt zum amerikanischen Exil des Mannes, dem nachgesagt wird, er bringe gerade die Verhältnisse in der Türkei zum Tanzen und Ministerpräsidenten Erdogan schrittweise dem politischen Grab näher, hat etwas von einem Grenzübergang.

Ein Segen für Fethullah Gülen. Dem herz- und zuckerkranken muslimischen Prediger blieb so das bitterböse „Geschenk“ erspart, das Hassan, Sara und drei Dutzende andere von weit her angereiste US-Türken ihm am Samstag vor die Tür legen wollten: einen schwarzen Gemeinschafts-Sarg aus Pappkarton. Für sich. Und für Erdogan.

Zum dritten Mal sind die Demonstranten, fanatische Anhänger des religionsfernen Staatsgründers Kemal Atatürk, nach Saylorsburg gefahren, ein Kaff in der Menschenleere Pennsylvanias, drei Autostunden nördlich von Washington. Um gegen den Mann zu protestieren, der „unsere Heimat einer Gehirnwäsche unterzieht“, wie es die 35-jährige Seda formuliert, „und auch in Amerika sein islamistisches Unwesen treibt“. Dabei hat das „Time Magazin“ Gülen gerade in die Liste der 100 einflussreichsten Menschen der Welt aufgenommen. Für die Demonstranten sind Erdogan und Gülen wahlweise „Schlangen“ oder die „Totengräber einer modernen Türkei“.

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Der Religionsführer hat sieben Millionen Anhänger

1999 führten die angeschlagene Gesundheit und ein Video den Gelehrten in die USA. Auf den Bildern soll Gülen zum Unterwandern des Staates aufgerufen haben. Der juristischen Aufarbeitung des Putschvorwurfs entzog er sich per Flugzeug. Seither residiert der von sieben Millionen Anhängern „Hocaefendi“ (verehrter Lehrer) genannte Religionsführer auf einem 15-Hektar-Anwesen fern der Heimat.

Das „Golden Generation Worship and Retreat Center“, ein mit Gästehäusern, Begegnungszentrum, Spazierwegen und Teich ausgestattetes Ressort der Gläubigkeit, haben reiche Gönner auf den blanken Acker gestellt. Gülen, der spirituelle Audienzen gibt und Gäste religiös unterweist, übt sich in Mittellosigkeit. Und Zurückhaltung.

Das ist nun vorbei. Seit in der Türkei ein Korruptionsskandal tobt und Minister im Zehnerpack ausgetauscht werden, schaltet sich Gülen ein. Und mit ihm ein gigantisches Netzwerk von Schulen, Universitäten, Unternehmen, Mediengruppen und Sympathisanten bis in höchste Regierungsstellen.

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Der Premier hatte Gülen als Drahtzieher der Ermittlungswellen bezichtigt und angedroht, den Urhebern die „Hände zu brechen“. Seither ereifert sich Gülen in Videoansprachen und Zeitungsinterviews über seinen ehemaligen Weggefährten – und seither geben sich Journalisten in Saylorsburg die Klinke in die Hand. Der von Diabetes geschwächte Gülen aber kann oder will nicht mit jedem reden. Das erledigt für ihn Alp Aslandogan (46), Präsident der „Allianz der gemeinsamen Werte“, ein Dachverband der Gülenianer in Amerika.

Gülen - ein "Sündenbock"?

Der Computerwissenschaftler empfängt die Besucher in einem Holzhaus in Sichtweite der Gemächer Gülens. Welche Rolle der Imam in der Krise in der Türkei spielt? „Keine aktive“, sagt Aslandogan, „wir waren und bleiben parteipolitisch neutral.“ Ob die von Erdogan zum 1. Januar angekündigte Schließung der von Gülen inspirierten Nachhilfe-Zentren das Fass zum Überlaufen gebracht hat? „Das ist anti-demokratisch, aber nicht der Grund für die Krise.“ Warum Gülen nicht längst in seine Heimat zurückgekehrt ist, wo juristisch gegen ihn nichts mehr vorliegt? „Das würde zu sehr politisiert und wäre der Demokratie abträglich.“ Also keine Parteigründung, kein Staatsstreich? „Wo denken Sie hin?“

Aslandogans Kern-These geht so: Erdogan dämonisiert die Gülen-Bewegung, um von Korruption und Machtmissbrauch durch seine Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) abzulenken. „Er macht Gülen zum Sündenbock.“ Wirklich besorgt wirkt der Sprecher nicht. Wenn der Trend zur Selbstzerstörung in der AKP anhalte, müsse man nur abwarten. Und gegen unliebsame Geschenke von Demonstranten gibt es ja immer noch den Grenzübergang an der Mount Eaton Road.