Kairo. Im Irak nisten sie sich in Städten ein, in Syrien beherrschen sie ganze Regionen: Die Hardcore-Islamisten des Terrornetzwerks Al Kaida führen mittlerweile komplexe militärische Operationen durch. Auch im Jemen, Ägypten, Libanon, Libyen und dem Sudan breiten sich aus.

In Falludscha flattert ihre schwarze Kriegsflagge über dem Rathaus. Im Zentrum von Ramadi patrouillieren maskierte Bewaffnete in den Straßen, während Iraks Regierungschef Nuri al-Maliki vom fernen Bagdad aus die verängstigte Bevölkerung per Fernsehaufruf beschwört, die Al-Kaida-Invasoren wieder aus den Stadtvierteln zu vertreiben.

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Die Zahl der Toten geht bereits in die Hunderte, auch konnten die Angreifer von der Armee zahlreiche gepanzerte Fahrzeuge erbeuten. Falludscha haben sie zum „Islamischen Emirat“ ausgerufen. Ihr Überraschungscoup, durch den die Extremisten jetzt praktisch die gesamte Provinz Anbar im Westen des Landes kontrollieren, ist der jüngste in einer immer länger werdenden Serie spektakulärer Militäraktionen radikaler Gotteskrieger im Nahen Osten.

Fähig zu strategisch-komplexen Operationen

Ganz gleich ob im Irak, in Syrien oder im Jemen – die Dschihadisten beweisen mehr und mehr, dass sie ähnlich wie Eliteeinheiten von regulären Armeen zu strategisch komplexen Operationen in der Lage sind. Die mit Al Kaida verbündeten Kämpfer „sind zu den gefährlichsten Akteuren in der gesamten Region“ geworden, urteilte US-Außenminister John Kerry am Wochenende.

Analytiker wie Bruce Reidel, Wissenschaftler beim Saban Zentrum für Nahost-Politik der Brookings Institution in Washington D.C., sprechen bereits von Al Kaida 3.0. Nach seiner Einschätzung erleben das Terrornetzwerk und seine radikale Ideologie im Nahen Osten derzeit einen Aufschwung wie nie zuvor. Al Kaida 3.0 sei deutlich breiter gestreut und dezentraler als seine Vorgänger. Von ihren geheimnisumwitterten Anführern seien – anders als bei der alten Führung in Afghanistan - kaum mehr als deren Kriegsnamen bekannt.

Monatlich sickern 30 bis 40 Selbstmordattentäter über die Grenze

Und so ist der Irak in seiner Schreckensbilanz 2013 mittlerweile wieder bei der dunklen Bürgerkriegsepoche vor sechs Jahren angelangt. Im August griffen Kämpfer der Gruppe „Islamischer Staat in Irak und Syrien“ (ISIS) mit Abu Ghreib eines der am besten bewachten Gefängnisse des Landes an und befreiten in mehrstündigen Feuergefechten über 500 Gesinnungsgenossen, ein Vorgang, der Interpol zu einem Weltalarm veranlasste.

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Im benachbarten Syrien sind die ISIS-Gotteskrieger am Kampf gegen das Assad-Regime inzwischen an vorderster Front beteiligt und gewinnen immer mehr die Oberhand über die moderaten Kräfte der Opposition. Viele ihrer Rekruten wechseln nach einiger Zeit gut bewaffnet und kriegserfahren zurück in den Irak, um dort weiter zu bomben und zu morden. Experten in Bagdad schätzen, dass inzwischen jeden Monat 30 bis 40 Selbstmordattentäter aus Syrien einsickern.

Ähnlich mächtig ist auch die Terrorfiliale im Jemen, die sich „Al Kaida für die Arabische Halbinsel“ (AQAP) nennt. Zuletzt verübten ihre Kommandos, in deren Reihen sich viele Saudis befinden, einen verheerenden Großanschlag auf das Verteidigungsministerium in Sanaa, dem Herzen des Regimes. 52 Menschen starben, 215 wurden verletzt. Im Militärkrankenhaus auf dem Gelände schossen die Attentäter wahllos auf Ärzte, Krankenschwestern und Patienten, unter den Toten waren auch zwei Deutsche.

Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein Offizier oder Polizist von Motorradattentätern erschossen wird, auch wenn Jemens Armee die beiden Al-Kaida-Enklaven Zinjibar und Lahij am Golf von Aden im Frühjahr 2012 unter hohen Verlusten wieder freikämpfen konnte. Zurück blieben zerstörte Städte und Dörfer, verwüstete und verminte Felder sowie zehntausende Obdachlose.

„Ägypten ist das Land mit den viel versprechendsten Aussichten für Al Kaida“

Doch nicht nur Irak, Syrien und Jemen, auch Libanon, Sudan, Libyen und Ägypten droht der Zerfall ihrer inneren Ordnung. Das Land am Nil erlebte kurz vor Weihnachten den ersten großen Autobombenanschlag seit Jahren. 15 Menschen starben, als in der Stadt Mansoura ein Sprengsatz vor der Zentrale der Polizei explodierte. Zu dem Attentat bekannte sich die Al Kaida nahestehende Ansar Beit al-Maqdis auf dem Sinai, auf deren Konto auch zahlreiche Morde an Soldaten und Polizisten gehen. Schätzungsweise 1000 Gotteskrieger operieren inzwischen auf der unwirtlichen Halbinsel. Trotzdem erklärte die vom Militär eingesetzte Interimsregierung als Reaktion die gesamte Muslimbruderschaft zur Terrorvereinigung, was viele Anhänger in den Untergrund treiben und radikalisieren könnte.

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Nach Ansicht des Brookings-Experten Bruce Reidel wird Ägypten 2014 wohl einen deutlichen Anstieg von Terrortaten erleben. „Hohe Armeeoffiziere werden Mordziele werden, genauso wie Diplomaten aus Saudi-Arabien und den Golfstaaten, die die neue Militärregierung finanzieren“, schreibt Reidel und nennt „Ägypten das Land mit den viel versprechendsten Aussichten für Al Kaida“.

Und so wundert es nicht, dass in den Vereinigten Staaten und Europa der Unwille wächst, sich in das immer höher brodelnde Chaos einzumischen. Der bedrängten schiitischen Regierung in Bagdad lieferte Washington vorletzte Woche lediglich 75 Hellfire-Raketen und stellte zehn Aufklärungsdrohnen in Aussicht. „Wir tun, was wir können“, versuchte US-Außenminister John Kerry die Gemüter zu beschwichtigen. Im gleichen Atemzug aber schloss er erneute US-Truppen vor Ort kategorisch aus. „Dieser Kampf jetzt, das ist deren Kampf.“