Washington. . Im Herbst 2001 hatte Nuri al-Maliki noch den Abzug der amerikanischen Truppen gefordert. Jetzt muss er einsehen, dass er den Bürgerkrieg in seinem Land allein nicht in den Griff bekommen wird. Im Oval Office bat er Präsident Obama inständig um massive Militärhilfen.
Man sieht sich im Leben immer zweimal. Im Herbst 2011 stand Nuri Al-Maliki an der Spitze der Ami-go-home-Bewegung zwischen Euphrat und Tigris. Jetzt legte der irakische Präsident im Oval Office den Rückwärtsgang ein und bat Präsident Obama inständig um massive Militärhilfen. Vor zwei Jahren verfügte al-Maliki, dass sich sein Land fortan selbst verteidigen könne und müsse, was den Abzug aller US-Truppen zur Folge hatte. Am Freitag räumte der Regierungschef ein, dass der Irak ohne Hilfe aus Washington beizeiten von Terroristen aus dem Dunstkreis von El Kaida und innenpolitischen Flügelkämpfen zerrieben wird.
Wären nicht bereits 6000 Tote in diesem Jahr zu beklagen, die meisten davon Zivilisten, der Sinneswandel, den al-Maliki im Weißen Haus und in dieser Woche bei anderen Auftritten in der amerikanischen Hauptstadt mit einer seltsamen Selbstverständlichkeit dokumentierte, entbehrte nicht einer gewissen Ironie. Hätte der als Freund des syrischen Diktators Assad und Sympathisant des Regimes in Teheran geltende Präsident vor 24 Monaten US-Soldaten wie gefordert weiter juristische Immunität gewährt, so eine weit verbreitete Überzeugung in Washington, wären das erneute Abgleiten des Irak in einen blutigen Bürgerkrieg entlang konfessioneller Trennlinien womöglich verhindert worden.
Oktober so blutig wie seit fünf Jahren nicht mehr
Allein im September sprengten sich dort 40 Selbstmordattentäter in die Luft und rissen Hunderte mit in den Tod. Der Oktober war mit 1000 Toten so blutig wie seit fünf Jahren nicht mehr. Die Lage gilt als so bedrohlich, dass niemand anderes als David Petraeus konstatiert, dass der Irak „heute schlimmer dran ist als 2006“. Der über eine außereheliche Affäre gestolperte ehemalige General wird in den USA bis heute als Held verehrt, weil er mittels massivsten Truppeneinsatzes seinerzeit den Irak einigermaßen stabilisieren konnte.
Für die Regierung in Washington war der Besuch des Bittstellers keine einfache Angelegenheit. Al-Maliki verlangt seit Wochen mit F-16-Kampflugzeugen, Apache-Kampfhubschraubern, anderen schweren Waffen und geheimdienstlichem Aufklärungsinstrumentarium so ziemlich alles - außer Bodentruppen. Obama zögerte lange. Zum einen aus Angst, das Material könne am Ende in die falschen Hände geraten. Zum anderen aus der Überzeugung heraus, dass der Brandherd Irak mit Militärwucht allein nicht zu löschen ist.
Obama zwischen den Stühlen
Al-Maliki gilt international als der größte Bremsschuh, wenn es darum geht, die sich feindlich gegenüberstehenden Volksgruppen der Sunniten und Schiiten sowie die Kurden im Norden anteilig fair am Wiederaufbau des Staatswesen zu beteiligen. Menschenrechts-Organisationen werfen al-Maliki im Gegenteil sogar vor, den Kampf der ethnischen und religiösen Gruppen zu Lasten der Sunniten anzuheizen. Mit jedem Einsatz der von ihm kontrollierten Regierungstruppen, mit jeder willkürlichen Verhaftung wachse dort das Gefühl, das umgekehrt die Schiiten unter Saddam Hussein verspürten: „Wir sind zweite Wahl, wir werden schikaniert, bedroht und getötet.“
Namhafte Senatoren in Washington gingen noch einen Schritt weiter. „Mr. Maliki unternimmt nichts, um zu verhindern, dass Teheran dem Syrer Assad durch den irakischen Luftraum Waffen liefert“, sagt der demokratische Verteidigungsexperte Carl Levin. Dessen republikanischer Mitstreiter John McCain will US-Militärhilfen nur dann gewähren, wenn al-Maliki „endlich mit dem innenpolitischen Kurs der Ausgrenzung Schluss macht“.
Zehn Jahre nach dem Einmarsch von US-Truppen sitzt Präsident Obama zwischen den Stühlen. Verweigert er al-Maliki die erbetene Unterstützung, wechselt der Iraker die Seiten. Und bittet Russland oder China um Kriegsmaterial.