Berlin. . Die FDP hat einen neuen Parteichef. Die Delegierten auf dem Sonderparteitag in Berlin wählten am Samstag Christian Lindner mit großer Mehrheit. Zuvor hatten Politiker der bisherigen Parteispitze Fehler und Versäumnisse eingeräumt und die Schuld am Wahldebakel der Bundestagswahl übernommen.
Mit Christian Lindner als neuem Parteichef will die FDP aus ihrer Krise neu durchstarten. Bei der Wahl des Nachfolgers von Philipp Rösler erhielt er am Samstag bei einem Sonderparteitag in Berlin 79,04 Prozent der Stimmen. "Ich bedanke mich für dieses tolle Votum", sagte der 34-Jährige.
In seiner Bewerbungsrede hatte der Nordrhein-Westfale seine Partei aufgerufen, das Scheitern bei der Bundestagswahl abzuhaken und zu kämpfen. "Die Zeit der Trauerarbeit ist zu Ende", sagte Lindner. Der weite Weg zurück in den Bundestag werde von Widerständen, Rückschlägen und Enttäuschungen gesäumt sein: "Deshalb kann keiner diesen Weg allein gehen."
Christian Lindner will FDP 2017 in den Bundestag zurückführen
Der Umgang der Basis mit der Niederlage zeige aber, dass die FDP noch Stärke und Selbstachtung besitze. Unter seiner Führung werde es keine Spaltung und keinen Rechtsruck geben. Die Partei dürfe nicht der "nationalökonomischen Bauernfängertruppe" von der AfD nacheifern.
Schonungslos und emotional suchten die Liberalen auf ihrem Parteitag nach Gründen für ihr Versagen bei der Bundestagswahl vom September. Das gescheiterte Spitzenduo Philipp Rösler und Rainer Brüderle räumte eigene Fehler ein, kritisierte aber auch mangelnde Loyalität im Führungsteam.
Ziel sei es, die FDP 2017 in den Bundestag zurückzuführen und die anderen Wahlen bis dahin als wichtige Meilensteine anzusehen, erklärte Lindner in seiner Bewerbungsrede. Für diesen langen Weg werde jeder Einzelne in der Partei gebraucht. "Die Zeit der Trauerarbeit der FDP ist zuende, ab heute bauen wir vom Fundament aus neu auf", sagte Lindner unter dem Applaus der Delegierten.
FDP soll nicht der Alternative für Deutschland hinterlaufen
Lindner rief die FDP zudem zu mehr Zusammenhalt auf. Nicht immer seien die Liberalen in den vergangenen Jahren im Umgang miteinander ihren eigenen gesellschaftspolitischen Ansprüchen gerecht geworden. Künftig müsse gelten: "Greift der politische Gegner einen von uns an, dann bekommt er es mit der gesamten FDP zu tun."
FDP verabschiedet sich aus dem Bundestag
Lindner gab zudem aus, die FDP werde nicht der eurokritischen Alternative für Deutschland (AfD) hinterherlaufen. Diese Partei sei eine "nationalökonomische Bauernfängertruppe". "Würden wir auch nur einen Zentimeter in Richtung der Euro-Hasser gehen, wir würden unsere ökonomische Kompetenz verlieren, aber vor allem unsere Seele."
FDP-Delegierte wählen Wolfgang Kubicki in den Bundesvorstand
Wolfgang Kubicki ist auf dem FDP-Parteitag in Berlin zum ersten Stellvertreter des neuen Parteichefs Christian Lindner gewählt worden. 568 Delegierte votierten am Samstagnachmittag für den schleswig-holsteinischen FDP-Landeschef, das sind 89,9 Prozent der Stimmen. In seiner Bewerbungsrede forderte Kubicki mehr Selbstbewusstsein von seiner Partei: "Wer sich schwach präsentiert, wird nicht stark gewählt, das ist meine Lebenserfahrung."
Kubicki kündigte an, sich für den Wiedereinzug der FDP in den Bundestag einzusetzen. Dass die Liberalen dort nicht mehr vertreten seien, "das dreht mir wirklich den Magen um". Was ihr Programm angehe, müsse die FDP "nicht in Sack und Asche laufen", sagte Kubicki mit Blick auf Umfragen, nach denen viele Wähler die Positionen der Liberalen teilten. Es sei aber "unser Fehler" gewesen, dass diese bei der Bundestagswahl nicht zur FDP gefunden hätten. Der 61-Jährige hatte in der Vergangenheit den Kurs der Bundespartei wiederholt kritisiert.
Der eurokritische FDP-Politiker Frank Schäffler ist auf dem Berliner Parteitag mit seiner Bewerbung um einen Posten des Vize-Parteichefs gescheitert. In einer Kampfkandidatur gegen die Düsseldorfer Bürgermeisterin Marie-Agnes Strack-Zimmermann erhielt Schäffler am Samstagnachmittag nur 24,8 Prozent der Stimmen. Seine in der Öffentlichkeit wenig bekannte Konkurrentin kam auf 71,7 Prozent.
Brüderle beklagt "bitterstes Jahr" in 40 Jahren FDP-Mitgliedschaft
Der gescheiterte FDP-Spitzenkandidat bei der Bundestagswahl, Rainer Brüderle, hatte zuvor auf dem Parteitag der Liberalen eigenes Versagen eingeräumt. Die von ihm initiierte Zweitstimmenkampagne in der letzten Woche vor der Bundestagswahl im September sei falsch gewesen, sagte Brüderle am Samstag vor den mehr als 600 Delegierten in Berlin. "Das war ein Fehler, dazu stehe ich." Das vergangene Jahr habe er persönlich als das bitterste in seinen 40 Jahren in der FDP erlebt, "es war auch das bitterste Jahr für den politisch organisierten Liberalismus".
Brüderle appellierte an die Partei, die neue Führung unter Christian Lindner zu unterstützen, die auf dem Parteitag gewählt werden soll. "Wir müssen uns alle hinter der neuen Mannschaft versammeln." Nach der "verheerenden Niederlage" gebe es viel aufzuarbeiten, sagte Brüderle mit Blick auf den verpassten Einzug in den Bundestag, erstmals seit 1949. Der ehemalige FDP-Fraktionschef appellierte zugleich daran, bei der Auseinandersetzung auf den Stil zu achten: "Die FDP wird als politische Kraft gebraucht, nicht als Selbsterfahrungsgruppe."
"Deutschland braucht die liberale Kraft"
Brüderle rief die Liberalen auf, auch außerhalb des Bundestags engagiert für ihre Ziele zu kämpfen. "Deutschland braucht die liberale Kraft", sagte er mit Blick auf die große Koalition aus Union und SPD, die Mehrausgaben plane und die umstrittene Vorratsdatenspeicherung einführen wolle. "Da haben sich zwei Staatsparteien gesucht und gefunden."
Der 68-jährige Brüderle, der mitten im Wahlkampf einen schweren Sturz erlitt, zieht sich aus der aktiven Politik zurück, wie er am Samstag bekräftigte: "Ich habe mich bei der Basis in meinem Kreisverband Mainz zurückgemeldet."
Der scheidende FDP-Generalsekretär Patrick Döring hatte zum Auftakt des Sonderparteitages ein Versagen der gesamten FDP-Spitze eingeräumt. "Wir treffen uns nach einer schweren Niederlage. Dafür trägt die Führung die Verantwortung", sagte Döring am Samstag in Berlin. Deshalb stellten auch alle Spitzenleute ihre Ämter zur Verfügung.
Mit Blick auf die Aussprache nach der letzten Rede von Philipp Rösler als Parteichef rief Döring die mehr als 600 Delegierten auf, hart in der Sache zu diskutieren, "aber mit Anstand und Mäßigung im Ton". Es gehe jetzt darum, außerhalb des Bundestages eine neue, "sympathisch-souveräne" FDP zu prägen.
Kubicki kritisiert "Großmäuliges Auftreten" der FDP
Döring kritisierte den Koalitionsvertrag von Union und SPD. Schwarz-Rot gefährde Wohlstand und Aufschwung in Deutschland. "Die Rentenkassen werden geplündert." Unglaublich sei es, dass Union und SPD direkt nach dem NSA-Ausspähskandal auf die Vorratsdatenspeicherung setzten.
Vor dem FDP-Bundesparteitag in Berlin hat der schleswig-holsteinische Fraktionschef Wolfgang Kubicki seine Partei scharf kritisiert. "Großmäuliges Auftreten", "nicht gehaltene Versprechen" und "das jämmerliche Bild, mit mangelnder Souveränität in den Wahlkampf zu gehen", hätten "die FDP vielen Menschen verleidet", sagte Kubicki der "Rheinischen Post" aus Düsseldorf vom Samstag. Die SPD warb indes um enttäuschte Mitglieder der Liberalen.
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Vor der Bundestagswahl im September habe es "eine Mitleid heischende Wahlkampfführung" gegeben, sagte Kubicki, der bei dem Parteitag für den Posten eines Vizeparteichefs kandidieren will, der "Rheinischen Post". "Wir dürfen uns nie wieder klein machen", warnte er. Im Norddeutschen Rundfunk sagte Kubicki, er sei sich "sicher, dass sehr schnell eine Vielzahl von Wählerinnen und Wählern" zur FDP zurückkehre. Viele hätten "nichts gegen liberale Grundstimmung", sondern "gegen unser Auftreten".
SPD-Chef Gabriel will Liberalismus "neue Heimat" in der SPD geben
Als neue Generalsekretärin will Lindner die scheidende hessische Kultusministerin Nicola Beer vorschlagen. Die FDP hatte bei der Wahl im September erstmals seit dem Jahr 1949 den Einzug in den Bundestag verpasst. Beer versprach in der "Passauer Neuen Presse", die Liberalen wollten ihre "Fehler gründlich aufarbeiten". Die Partei sei zuletzt "zu sehr als Anhängsel von CDU und CSU wahrgenommen worden". Lindner werde die FDP "wieder einen", sagte Beer. Der Berliner FDP-Chef Martin Lindner warnte seinen Namensvetter davor, die Liberalen "in eine Art Mini-SPD oder Mini-CDU zu verwandeln". "Mit Laubaden und sympathieheischenden Bewegungen wird die FDP gar nichts erreichen", sagte er der "Berliner Morgenpost".
SPD-Chef Sigmar Gabriel kündigte an, dem Liberalismus eine "neue Heimat" in der SPD geben zu wollen."Liberalität ist eine wunderbare Geisteshaltung, die die Menschen vor der Übermacht des Staates wie des Marktes schützen will", sagte er der "Braunschweiger Zeitung". Die FDP habe die "Idee des Liberalismus zur Steuersenkungsideologie des Neoliberalismus degeneriert". SPD-Vizechef Olaf Scholz sagte der "Welt am Sonntag", die SPD könne "eine neue Heimat für viele Liberale werden, die von der FDP enttäuscht sind".
Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, riet der FDP in der "Welt" vom Samstag zu einem sozialliberalen Kurs. Die FDP stehe vor einem Überlebenskampf und müsse sich "neu ausrichten", sagte er.
Der Wirtschaftsrat der CDU kündigte an, die FDP künftig unterstützen zu wollen. Er wolle der Partei helfen, "wieder auf die Beine zu kommen", sagte der Vorsitzende Kurt Lauk, der "Welt". "Das Element der FDP fehlt im Parlament, wir helfen jedem, der wirtschaftsliberale Positionen vertritt", fügte er hinzu. (dpa/afp/rtr)