Leipzig. Die SPD sieht sich durch das enttäuschende Wahlergebenis zu Unrecht abgestraft - will aber Konsequenzen ziehen und das Ergebnis nicht schön reden. In den Koalitionsgesprächen mit der Union soll die sozialdemokratische Handschrift deutlich werden.

SPD-Chef Sigmar Gabriel hat seine Partei davor gewarnt, die Messlatte für die Bildung einer großen Koalition zu hoch zu legen. Auf dem SPD-Parteitag in Leipzig formulierte Gabriel am Donnerstag zwar klare Forderungen an CDU und CSU. Zugleich warb er aber mit Blick auf das bevorstehende SPD-Mitgliedervotum über einen Koalitionsvertrag für Realismus. "Die SPD kann in diesen Koalitionsverhandlungen viel für die Menschen in Deutschland erreichen. Aber sie darf nicht alles oder nichts spielen", sagte Gabriel. Die SPD werde viele Positionen, etwa in der Steuerpolitik, nicht durchsetzen können.

Wie zuvor der ehemalige SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück warb Gabriel dafür, die Chance einer Regierungsverantwortung gemeinsam mit der Union nicht leichtfertig zu vergeben. Die SPD werde sich "nicht aus Angst vor den Mühen der Arbeit in einer ungeliebten Koalition" drücken. Er betonte aber, dass die Anfang Dezember geplante Mitgliederabstimmung über einen Koalitionsvertrag entscheidend für den Kurs der Partei sei. Eine große Koalition sei daher keine zwangsläufige Entwicklung. "Die SPD zusammenzuhalten ist am Ende wichtiger als regieren", sagte Gabriel. Hintergrund sind Sorgen in der SPD, dass der Mitgliederentscheid auch scheitern könnte. Gabriel zeigte sich allerdings zuversichtlich, dass es am Ende eine Zustimmung für einen Koalitionsvertrag geben werde.

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Die Sozialdemokraten werden laut Gabriel die Lehren aus der letzten großen Koalition ziehen. Er kündigte ein härteres Auftreten seiner Partei in einer Bundesregierung an. "Wir werden kein zweites Mal eine Politik betreiben, bei der die SPD wieder gegen ihr Selbstverständnis verstößt."

Gabriel formuliert zentrale Forderungen

Gabriel, der sich am Nachmittag zur Wiederwahl stellen wollte, bekräftigte, dass es mit der SPD ohne einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro keine Koalition geben werde. Das gelte auch für die Leiharbeit: "Ohne das Prinzip 'gleicher Lohn für gleiche Arbeit' wird es keinen Koalitionsvertrag mit der SPD geben." Er verteidigte das Vorhaben von Union und SPD, auf eine Senkung des Rentenbeitragssatzes 2014 zu verzichten. "Altersarmut kann man nicht mit sinkenden Rentenbeiträgen bekämpfen", sagte Gabriel. Nötig sei zudem eine abschlagfreie Rente für Arbeitnehmer nach 45 Versicherungsjahren.

Zugleich lieferte Gabriel eine selbstkritische Wahlanalyse. Es habe sich eine "kulturelle Kluft" zwischen der SPD zu ihrer Kernwählerschaft aufgetan. Der Partei werde zudem zu wenig Wirtschaftskompetenz zugewiesen. Bundeskanzlerin Angela Merkel sei sehr populär und die Wähler hätten sich angesichts der guten wirtschaftlichen Lage nach Stabilität gesehnt. Steinbrück wies er keine Verantwortung für das schlechte Abschneiden der SPD zu. "Die politische Gesamtverantwortung für unser Wahlergebnis am 22. September trägt der Parteivorsitzende, trage ich", sagte Gabriel.

Offen für Linkspartei

Gabriel betonte zudem, dass die SPD eine gemeinsame Regierung mit der Linkspartei im Bund künftig nicht mehr ausschließen werde. "Ja, wir sind offen für solche Koalitionen." Allerdings müsse sich dafür die Linkspartei entscheidend verändern, weil frühere Annäherungsversuche immer wieder gescheitert seien. "Für mich (...) war die Ablehnung einer Koalition mit der Linkspartei in dieser Legislaturperiode schon dieses Mal keine grundsätzliche Frage, sondern eine ganz pragmatische."

Mit Blick auf die nächste Bundestagswahl sagte Gabriel aber auch, dass die SPD sich generell für andere politische Kräfte öffnen sollte. Nach dem Niedergang der FDP könne die SPD dem Liberalismus "eine neue Heimat" geben. "Sozial und liberal - das wäre ein gutes Profil für die SPD im nächsten Wahljahr 2017."