Berlin/Düsseldorf. . An diesem Wochenende wählt die FDP einen neuen Parteichef. Kandidat Christian Lindner (34) hat keine ernsthaften Mitbewerber. Aber auf den designierten Vorsitzenden wartet eine Herkulesaufgabe. Er muss eine Partei in höchster Not wieder auf Kurs bringen.

Christian Lindner schaut ungern zurück. Warum auch? Die Niederlage der FDP bei der Bundestagswahl kann er sich erklären. „Die Wähler haben nichts anderes getan, als einen Neuanfang zu erzwingen“, sagt er. Lindner erzählt von einem Ehepaar aus Köln, beide seit 40 Jahren in der FDP, die diesmal den Liberalen einen Denkzettel verpassen wollten. So erging es vielen. Lindner empfiehlt seiner Partei, „daraus eine Chance zu machen“. So geht er auch dieses Wochenende an, wenn die FDP ihre Spitze neu wählt. Bisher führt Christian Lindner die FDP-Fraktion im Düsseldorfer Landtag. Nun greift der 34-Jährige auch nach dem Bundesvorsitz.

Die FDP ist aufgekratzt. Zuletzt missriet die Regie gleich auf drei Parteitagen: in Hessen, Baden-Württemberg und Bayern. Viele Absprachen galten nichts mehr. „Da ist viel Wut im Bauch“,sagt einer aus der Führung. Gut möglich, dass auch die 660 Delegierten in Berlin sich länger mit der Aufarbeitung der Niederlage aufhalten werden, als es Lindner lieb ist.

Hohes Maß an Hass und Verachtung

Ein falsches Wort und alle negativen Gefühle kommen wieder hoch: Die Klagen über den mangelnden Zusammenhalt; der Ärger über die NRW-FDP, die im Wahlkampf ihr eigenes Ding machte; das Befremden über Lindner oder auch über den Kieler Fraktionschef Wolfgang Kubicki , die beide im FDP-Vorstand jede Entscheidung mittrugen – und sich am Tag nach der Niederlage flott absetzten.

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Der scheidende Parteichef Philipp Rösler will nicht allein die Verantwortung übernehmen. Die Partei ist gelähmt, ihre bisherige Führung abgetaucht. Man weiß nicht, ob die Liberalen bei einer vorzeitigen Neuwahl kampagnenfähig wären. Nichts deutet in den Umfragen darauf hin, dass die Wähler die FDP vermissen. In den Medien schlägt der FDP ein hohes Maß an Hass und Verachtung entgegen.

Christian Lindners Ziel ist die Rückkehr in den Bundestag in vier Jahren. Das sei seine persönliche Mission. Wenn er es nicht schaffe, werde er aufhören. Er sagt: „Mein Projekt ist es, die FDP wieder aufzubauen.“ Aber auf welcher Basis soll dies geschehen?

Das Personalgerüst steht

Da sind immer noch 59.000 Mitglieder, rund 5000 kommunale Mandatsträger und die 104 Abgeordneten in den Landtagen und im EU-Parlament. Aus Hessen holt er sich Nicola Beer als Generalsekretärin, im Bund ein unbeschriebenes Blatt. Erst recht gilt dies für Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die bisher Bürgermeisterin in Düsseldorf ist. Sie soll seine Stellvertreterin werden, neben Tausendsassa Wolfgang Kubicki und vermutlich Volker Wissing. Der Sachse Holger Zastrow hat gerade verkündet, dass er sich aus der Führung zurückziehe; er geht auch und gerade auf Distanz zu Lindner.

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Inhaltlich steht Lindner für einen verantwortungsbewussten und mitfühlenden Liberalismus, nach allen Seiten offen: „Die FDP ist zukünftig so eigenständig wie nie zuvor in der Geschichte“, sagte er neulich in Berlin. Was den Liberalen programmatisch fehlt, sind konkurrenzfähige Angebote in der Bildungs-, Frauen- und in der Integrationspolitik; Felder, auf denen sie den Anschluss verlor.

Europawahl "wird die erste große Bewährungsprobe"

Viel Zeit für Trauerarbeit bleibt Lindner nicht. Im Mai steht die Europawahl an. Es gilt sogar nur eine Drei-Prozent-Hürde. „Wenn wir die nicht schaffen, wäre es desaströs“, sagt einer aus der Parteiführung. „Das wird die erste große Bewährungsprobe.“ Kurz darauf folgen drei Landtagswahlen in Ostdeutschland.

Mit den Euro-Skeptikern kann Lindner wenig anfangen. Das ist in seinen Augen eine „national-ökonomische Bauernfängerei“. Für die eurokritische AfD gilt das allemal. Der Zweifel hat sich indes auch in den eigenen Reihen eingenistet. Lindner hält die Euro-Kritiker um Frank Schäffler für eine kleine Gruppe, „die werden nicht Mehrheitsmeinung“. Zumindest haben sie Störpotenzial.

Am Wochenende hat Lindner zwei Gegenbewerber. Götz Galuba aus Berlin betreibt eine wilde Kandidatur. Hinter Jörg Behlen aus Marburg aber steht das Schäffler-Lager. Gefährdet ist Lindners Wahl nicht. Aber er soll seine Grenzen erfahren.