Paris. Frankreich debattiert seit heute leidenschaftlich darüber, ob der Präsident am 9. November 1989 in Berlin war. Ob er einer unter vielen war, die mit einem Hämmerchen die Mauer bearbeiteten. Sarkozys jüngster Facebook-Eintrag jedenfalls soll das beweisen.
Die Franzosen im Allgemeinen und ihr Präsident im Besonderen haben ein ausgesprochenes Faible für die Schnelligkeit. In Anlehnung an den Hochgeschwindigkeitszug TGV ("Train à Grande Vitesse") nennen sie ihren hyperaktiven Staatschef deshalb augenzwinkernd gerne "PGV", den "Hochgeschwindigkeits-Präsidenten".
Dass Nicolas Sarkozy schon vor genau zwanzig Jahren ein pfeilschnelles Reaktionsvermögen und obendrein ein sehr feines Näschen für die bevorstehenden Umwälzungen in Europa besaß, soll sein jüngster Facebook-Eintrag unter Beweis stellen. Dort zeigt ein Bild den mit einem Hämmerchen bewaffneten jungen Sarko als emsigen Mauerspecht in Berlin. Neben ihm ebenfalls hämmernd im Dienste der Freiheit: Parteifreund Alain Juppé, der spätere Premierminister. Glaubt man dem Texteintrag des Präsidenten, dann ereignete sich diese handwerkliche Großtat just am Abend des 9. November 1989, also exakt an jenem historischen Tag, als sich die Mauer öffnete.
Gespickt mit Häme und Sarkasmus
Ob es sich allerdings wirklich so zugetragen hat, darüber ist in Frankreich eine leidenschaftliche Debatte entbrannt, gespickt mit viel Häme und Sarkasmus. Eine, die inzwischen von so vielen Dementi, Korrekturen und trotzigen Bestätigungen geprägt ist, dass Zweifel an Sarkozys Ehrlichkeit aufkommen. Der Präsident - ein kleiner Schummler?
"Am 9. November mittags interessierten wir uns für die Informationen, die aus Berlin kamen", heißt es in Sarkozys Facebook, und er fügt hinzu: "Wir entschieden, mit Alain Juppé Paris zu verlassen, um bei dem sich abzeichnenden Ereignis dabei zu sein." Vor dem Brandenburger Tor, inmitten der erwartungsfrohen Masse, wollen die Pariser Mauer-Touristen einen weiteren Franzosen getroffen haben: François Fillon, den heutigen Premier. Über den Checkpoint Charlie sei man dann in den Ostteil der Stadt gelangt, wo sie der Mauer dann "einige Schläge mit dem Spitzhammer" verpassten.
Zweifel sind berechtigt
Zweifel an dieser Sarko-Version sind berechtigt. Hat der Mauerfall nicht sogar die gesamte westdeutsche Polit-Elite - vom Kanzler bis zum Bundestag - auf dem falschen Fuß erwischt? Kann es wirklich sein, dass Sarkozy, der Zauberer, am 9. November zur selben Stunde den Mauerspecht gab?
"Ja, so war es", gibt jedenfalls Philippe Martel zu Protokoll, der den Mauer-Trip damals organisiert hat. "Weil alle kommerziellen Flüge ausgebucht waren, mieteten wir eine private Maschine. Als wir in Berlin ankamen, arrangierte ich eine Begegnung mit dem Regierenden Bürgermeister Walter Momper." Eine Behauptung, die prompt dementiert wurde. Und zwar vom damaligen Senatssprecher Werner Kolhoff. Auch ein französischer Fotograf, der damals dabei war, entzaubert den Präsidenten. "Sarkozy mit Juppé in Berlin, das war bestimmt nicht am 9. November, das ist sicher", sagte er der Zeitung "Libération".
Parteifreund Jean-Jacques Peretti wiederum schwört, dass Sarkozys Facebook-Eintrag stimmt. "Es war der 9. November abends, ich bin mir sicher." Der kleine Schönheitsfehler: Peretti behauptet, man sei nicht mit dem Flugzeug, sondern mit der Bahn angereist.
Vier verschiedene Versionen
Die Verwirrung komplett macht schließlich Alain Juppé. Von ihm lagen bei Redaktionsschluss mindestens vier verschiedene Mauerspecht-Versionen vor. Als die Debatte aufkeimte, hat er seinen Blog am Montag jedenfalls prompt korrigiert. Seitdem ist nur noch vage vom "9. November oder einem der darauf folgenden Tage" die Rede.
Der Elysée-Palast ließ am Montagabend gegenüber dem Nachrichtenmagazin "Le Point" eine Erklärung verbreiten, die am 9. November festhält und den fiesen Schummel-Verdacht gegen den Präsidenten zu entkräftigen sucht. Das sei "la bonne version", die gute Version".
Die vorläufig letzte Variante steuerte die Internetzeitung "Rue 89" bei. Sie machte den Fotografen ausfindig, der die Mauerspechte fotografiert hat. Der heißt Paul Clave und behauptet: "Ich habe das Bild am 10. November abends um 22 Uhr gemacht."