Berlin. . Noch nie war ein Koalitionsvertrag so lang wie der, auf den sich Union und SPD geeinigt haben. Doch welchen Wert hat die Vereinbarung überhaupt? Klar ist: Ein schlechter Vertrag führt immer zur Regierungskrise, auf der anderen Seite werden eindeutige Verhandlungsergebnisse in der Praxis ignoriert.
Die schwarz-rote Koalition bricht schon jetzt Rekorde: Der Vertrag von Union und SPD ist so lang wie keiner davor. Aber was ist die Vereinbarung eigentlich wert? Ginge es nicht auch ohne? Was ist diesmal anders? Fragen und Antworten rund um den Koalitionsvertrag.
Waren das die längsten Koalitionsverhandlungen?
Nein. Die reine Verhandlungszeit – nach den Sondierungen – ist mit 35 Tagen eher durchschnittlich lang. Aber: Wegen des SPD-Mitgliederentscheids wird die Regierung erst am 17. Dezember, 86 Tage nach der Bundestagswahl, gebildet werden. So lange hat noch nie eine Bundesregierung auf sich warten lassen.
Warum ist der Vertrag so lang?
Es ist der längste Koalitionsvertrag der bundesdeutschen Geschichte, im letzten Entwurf sind rund 180 Seiten zusammengekommen. Die Verträge von 2009 und 2005 kamen noch mit 130 Seiten aus, 1998 und 1994 waren es rund 50 Seiten. Die Absprachen werden also immer umfassender. Vor allem die SPD pocht diesmal auf klare und detaillierte Vereinbarungen, damit sie ihren Mitgliedern etwas vorweisen kann und nicht fürchten muss, als kleiner Partner später über den Tisch gezogen zu werden.
Und die Union hat in der letzten Koalition erfahren, wie riskant laxe Abkommen mit bloßen Prüfaufträgen sind – das war der Grundstein für die schwarz-gelbe Dauerkrise. Aber: Je größer die Präzision, desto weniger hat später der Bundestag als Gesetzgeber zu bestimmen – de facto eine Entmachtung des Parlaments.
Was ist diesmal noch anders?
Schon an der unterschiedlichen Präzisierung lässt sich ablesen, wo Schwarz-Rot Schwerpunkte setzen will: Bei der Energiewende, beim Mindestlohn, bei der Rente, Gesundheit und Familie; da ist vieles bis ins Detail besprochen. Das Kapitel zur Wirtschaftspolitik zum Beispiel ist dagegen eher allgemein gehalten. Ein klares Signal setzen Union und SPD mit einem eigenen Abschnitt zur „digitalen Agenda 2013-2017“ – das Programm reicht vom sicheren Internet bis zur Förderung kleiner IT-Unternehmen.
Braucht man überhaupt einen Koalitionsvertrag?
Theoretisch nicht, praktisch aber schon. Die ersten Koalitionen in der Bundesrepublik Deutschland beließen es bei vertraulichen Briefwechseln, das erste öffentliche Koalitionsabkommen schlossen CDU, CSU und FDP 1961 – es umfasste neun Seiten. Aber die damaligen Bundeskanzler hatten auch eine größere Gestaltungsmacht.
Vorschriften für die Vereinbarungen gibt es nicht, sie sind weder in der Verfassung noch in Gesetzen erwähnt, es gibt auch keine Formvorgaben. Koalitionsverträge sind auch nicht einklagbar – ein Bruch der Absprachen könnte aber zum Ende der Regierung führen. In der Regel pocht der kleinere Koalitionspartner auf ein Abkommen, um im Kabinett nicht überstimmt zu werden. Denn der Kanzler hat, ist er erst im Amt, im deutschen Regierungssystem eine starke Stellung und bestimmt die Richtlinien der Politik.
Was ist der Vertrag wert?
Schwer zu sagen. Ein schlechter Koalitionsvertrag bringt immer Probleme, aber auch ein guter hilft in der Regierungspraxis nur begrenzt weiter. In der letzten Wahlperiode hat die schwarz-gelbe Regierung zum Teil das glatte Gegenteil von dem beschlossen, was anfangs vertraglich vereinbart wurde – etwa mit dem Atomausstieg oder dem Aus für die Wehrpflicht.
Und zentrale Entscheidungen früherer Wahlperioden waren nie vorab vertraglich geklärt worden: Von Schröders Agenda 2010 über Kriegseinsätze im Kosovo oder Afghanistan bis zum Management der Bankenkrise oder Merkels Euro-Rettungspolitik. Das Regierungshandeln lässt sich nur begrenzt in Spiegelstrichen regeln.
Entscheidend sind die letzten Seiten des Vertrags: Da ist die Verteilung der Ministerien geklärt und eine Art Geschäftsordnung festgelegt. Ob eine Regierung ordentlich arbeitet, ist danach vom Geschick der Beteiligten abhängig.
Der Koalitionsvertrag