Leipzig. Denkzettel für SPD-Vize Hannelore Kraft, teilweise heftige Dämpfer auch für die übrige SPD-Spitze: Auf dem SPD-Parteitag in Leipzig ist die Führungsriege mit deutlich schlechteren Wahlergebnissen gewählt worden als vor zwei Jahren - ein Gradmesser auch für die getrübte Stimmung bei den Delegierten.
Schon Parteichef Sigmar Gabriel hatte am Donnerstag einen Dämpfer erhalten, am Freitag erwischte es NRW-Ministerpräsidentin Kraft: Sie erhielt bei der Wahl als stellvertretende Vorsitzende nur noch 85,6 Prozent der Delegierten-Stimmen, bei ihrer ersten Wahl vor zwei Jahren hatte sie ein Traumergebnis von 97,2 Prozent eingefahren.
Die Zustimmung für Kraft ist nur noch unwesentlich größer als die für Gabriel, der 83,6 Prozent der Stimmen erhalten hatte. Dass Krafts Sympathievorsprung in der Partei derart geschmolzen ist, ist offenbar eine Reaktion auf ihren Zick-Zack-Kurs bei den Vorbereitungen für eine Große Koalition.
Noch härter traf es SPD-Vize Olaf Scholz und SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles: Scholz erhielt nur 67,3 Prozent der Stimmen (84,9 Prozent waren es 2011) - dem Hamburger Regierungschef waren Ambitionen nachgesagt worden, bei einem vor der Bundestagswahl intern diskutierten Sturz von Parteichef Gabriel selbst Vorsitzender werden zu wollen. Nahles erhielt 67,2 Prozent, noch etwas schlechter als die 73,2 Prozent von 2011 - auch eine Quittung für Wahlkampf-Pannen, für die sie als Wahlkampfleiterin verantwortlich war.
Das beste Ergebnis gab es für Thorsten Schäfer-Gümbel
Das beste Ergebnis unter den fünf stellvertretenden Parteivorsitzenden erzielte der erstmals kandidierende hessische SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel mit 88,9 Prozent. Parteivize Aydan Özoguz kam auf 79,9 Prozent, Manuela Schwesig auf 80,1 Prozent - auch dies jeweils weniger als vor zwei Jahren.
Das ist Hannelore Kraft
Die Wahlergebnisse zeigen nicht nur eine latente Unzufriedenheit von Teilen der Partei mit dem Kurs der SPD-Spitze in der Koalitionsfrage: Der Denkzettel für Kraft spiegelt auch die aktuell veränderten Kräfteverhältnisse in der SPD-Führung wider. Bis vor kurzem galt die Düsseldorfer Regierungschefin als die heimliche Nummer eins der SPD, die jederzeit den Parteivorsitz und 2017 auch die Kanzlerkandidatur übernehmen könne - wenn sie nur wollte. Kritiker werfen ihr jetzt aber vor, in der Koalitionsfrage habe sie sich anfangs strategisch unklug verhalten und „verrannt“ und so an der Basis auch falsche Erwartungen geweckt.
Kraft äußerte sich ablehnend zu einem Regierungsbündnis
Anfangs hatte sich Kraft - mit Rückendeckung des NRW-Landesverbands - ablehnend zu einem Regierungsbündnis mit der Union geäußert. Damit war sie auch offen auf Gegenkurs zu Gabriel gegangen, eine Machtprobe in der Parteiführung schien unvermeidlich. Drei Wochen nach der Wahl änderte Kraft aber überraschend ihre Position unter dem Eindruck der Sondierungsgespräche.
Seitdem wirbt sie offensiv für eine Große Koalition - und ist damit voll auf den Kurs Gabriels eingeschwenkt. Er hat anders als Kraft in den vergangenen Wochen nach allgemeiner Einschätzung an Statur gewonnen und dürfte als Vizekanzler und Parteivorsitzender künftig seine Macht noch ausbauen. Seine potenziellen Rivalen sind bereits geschwächt worden.
Dann drehte die Union in den Gesprächen bei
Kraft hatte, die Vorbehalte einiger Delegierter ahnend, auf dem Parteitag ihre Wende mehrfach verteidigt: „Ich wusste, wie die Partei tickt, es gab viele Warnungen vor der Großen Koalition“. Die Union habe in den Gesprächen dann aber beigedreht. „Dann kann man auch großzügig auf dem Balkon die gereichte Hand ergreifen“, verteidigte Kraft die umstrittene Foto-Szene, die sie im vertrauten Gespräch mit führenden Unionspolitikern zeigte - drei Tage nach einem Krach mit CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt.
Sie habe sich für ein Ja zur Koalition entschieden, weil sie am Ende der Sondierungsgespräche einen „klaren Einigungskorridor erkannt habe.“ Sie sei mit sich im Reinen, versicherte Kraft und versprach, „mit beiden Beinen auf den Boden zu bleiben“. Sie sei für „Mission-Impossible-Geschichten prädestiniert“, sagte Kraft. Doch ihre Kritiker ließen sich davon nicht beeindrucken: Die Wiederholung des Super-Ergebnisses auf dem letzten Parteitag erwies sich für Kraft dann doch als „Mission Impossible.“