Leipzig. SPD-Chef Gabriel hängt die Latte hoch: Nur einen Koalitionsvertrag mit deutlich sozialdemokratischer Handschrift will er am Ende den SPD-Mitgliedern zur Annahme empfehlen - mit Doppelpass, Mindestlohn und existenzsichernder Rente. Die SPD sei “nicht zum Nulltarif zu haben“, sagte Gabriel beim Parteitag in Leipzig - und auch nicht “für ein paar Ministerposten“.
Die SPD hat eine große Koalition mit der Union von der Umsetzung sozialdemokratischer Kernforderungen abhängig gemacht. SPD-Chef Sigmar Gabriel nannte am Samstag auf dem SPD-Parteitag in Leipzig besonders einen flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro und die Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft als Bedingungen für ein Regierungsbündnis. Der Parteitag beschloss zum Abschluss zudem einen Leitantrag zur Kommunalpolitik.
"Wir sind nicht zum Nulltarif zu haben" und auch nicht "für ein paar Ministerposten", richtete Gabriel, der die abschließende Parteitagsdebatte zur Kommunalpolitik überraschend noch einmal für grundsätzliche Äußerungen nutzte, eine scharfe Warnung an die Adresse der Union. CDU und CSU müssten "jetzt liefern", wenn sie mit der SPD regieren wollten.
Gabriel: "Jetzt müsst ihr liefern, liebe Leute von der Union"
"In diesem Koalitionsvertrag muss klar sein, dass wir einen Mindestlohn von 8,50 Euro flächendeckend in Deutschland bekommen", sagte der SPD-Chef. "Ich werde der SPD keinen Koalitionsvertrag vorlegen, in dem die doppelte Staatsbürgerschaft nicht drin ist", fügte er hinzu. Weiter forderte Gabriel ein Zurückführen von Leih- und Zeitarbeit, gleichen Lohn für gleiche Arbeit, eine abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren und mehr Geld für Bildung und für Kommunen. Das soziale Europa müsse "gleichberechtigt neben dem Binnenmarkt-Europa stehen".
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Gabriel warf der CDU/CSU vor, die SPD durch das Verweigern konkreter Zugeständnisse "in den Parteitag geschickt zu haben ohne jedes Ergebnis". Dort hatten fast alle Mitglieder der Parteiführung am Donnerstag und Freitag deutlich schlechtere Wahlergebnisse erhalten als auf früheren Parteitagen. Dies wurde auch als Unbehagen mit dem bisherigen Verlauf der Koalitionsverhandlungen interpretiert. "Jetzt müsst ihr liefern, liebe Leute von der Union", verlangte der SPD-Chef.
SPD will Städte und Gemeinden als Wirtschafts- und Wohnstandorte stärken
"Ihr könnt Euch darauf verlassen, dass wir kämpfen und nicht kuscheln", kündigte Parteivize Manuela Schwesig eine harte Gangart in den weiteren Koalitionsverhandlungen an. Der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) bekräftigte in "Spiegel Online", ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro sei "eine der Grundvoraussetzungen" für ein Regierungsbündnis mit der Union. "Wir müssen wichtige sozialdemokratische Inhalte umsetzen, sonst gibt es keine große Koalition", verlangte der frühere SPD-Chef Kurt Beck in der "Bild"-Zeitung vom Samstag.
Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit verwies mit Blick auf das bevorstehende SPD-Mitgliedervotum auf "starke emotionale Widerstände an der SPD-Basis" gegen eine große Koalition. Daher "hängt alles jetzt vom Verhandlungsergebnis ab", sagte er "Bild". "Wenn Frau Merkel unsere Forderungen zu weit gehen, muss sie eben mit den Grünen oder einem Minderheitskabinett regieren", sagte demselben Blatt der Parteilinke Klaus Barthel.
Der Leitantrag zur Kommunalpolitik wurde zum Abschluss des Parteitages einstimmig beschlossen. Darin erklärt die SPD es zu einem vorrangigen Ziel, Städte und Gemeinden als Wirtschafts- und Wohnstandorte zu stärken und "ihre kulturelle Vielfalt und die Umwelt- und Lebensqualität ebenso zu bewahren wie ihren sozialen Zusammenhalt". "Verwahrloste Städte und Gemeinden erzeugen am Ende eine verwahrloste Gesellschaft", warnte Gabriel.
SPD weist Einladung der Linkspartei zu Gipfeltreffen zurück
Die SPD hat die Einladung der Linkspartei zu einem Gipfeltreffen abgelehnt. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles wies das Angebot der Ko-Vorsitzenden Katja Kipping laut der Online-Ausgabe der "Süddeutschen Zeitung" am Samstag scharf zurück. Die von Kipping beschriebene "Funkstille" zwischen den beiden Parteien habe es "in den letzten Jahren nicht gegeben", sagte Nahles.
Die Delegierten des SPD-Parteitags in Leipzig hatten am Donnerstag einen Leitantrag beschlossen, der unter Bedingungen eine Zusammenarbeit mit der Linken von 2017 an auch auf Bundesebene möglich macht. Daraufhin hatte Kipping der "Süddeutschen Zeitung" gesagt, jetzt solle schnell "das Gespräch auf allerhöchster Ebene" gesucht werden. Es solle so früh wie möglich ausgelotet werden, was möglich sei und was nicht. Als Themen nannte Kipping unter anderem gerechte Löhne, Renten und Steuern, einen Gewaltverzicht in der Außenpolitik sowie einen Stopp der Waffenexporte.
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"Es ist gut, dass unsere Gesprächsangebote nicht mehr als Stalking missverstanden werden", sagte Kipping weiter. Auf diese Einschätzung reagierte Nahles laut "Sueddeutsche.de" verärgert. "Genau diese Art von mit Spitzen garnierten Gesprächsangeboten via Medien zeigen: vor öffentlichen Einlassungen sollte Frau Kipping eine Klärung innerhalb ihrer eigenen Partei vorantreiben."
SPD verknüpft direkte ESM-Bankenhilfe mit Börsensteuer
Der SPD-Haushaltspolitiker Carsten Schneider hat die Zustimmung seiner Partei zu direkten Hilfen des Euro-Rettungsfonds ESM für Pleitebanken an die Einführung einer Finanztransaktionssteuer geknüpft. "Bestenfalls ist für die Zukunft eine solche Lösung nur denkbar, wenn sichergestellt ist, dass alle europäischen Länder eine Finanztransaktionssteuer eingeführt haben, um dies zu finanzieren", sagte Schneider am Samstag. Mit Blick auf die laufenden Koalitionsverhandlungen zwischen Union und SPD unterstrich er, dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) bisher kein grünes Licht der SPD habe, um in der EU über die umstrittene Bankenrekapitalisierung zu beraten.
Hintergrund ist, dass die Bundesregierung in der EU bereits ihre grundsätzliche Zustimmung zu direkten Bankenhilfen des ESM gegeben hatte, die SPD diese aber strikt ablehnt. "Bei der direkten Bankenrekapitalisierung hat die Bundesregierung kein Mandat", sagte Schneider. Dies hatten deutsche Regierungsvertreter auch vor Verhandlungen der EU-Finanzminister am Donnerstag und Freitag in Brüssel eingeräumt.
Das Thema Bankenrekapitalisierung ist heikel, weil der ESM eigentlich nur zur Stabilisierung von Euro-Staaten da ist, aber nicht, um Banken zu retten. Zwar kann der ESM heute schon bei Bankenschieflagen helfen, aber nur indirekt über den jeweiligen Staat, was dessen Staatsschulden erhöht. Das Beispiel dafür ist Spanien. Könnte der ESM seine Milliarden direkt in die Banken stecken, würden die nationalen Staatshaushalte nicht belastet.
"Steuerzahler müssen geschützt bleiben"
Schäuble hat wiederholt deutlich gemacht, dass auch für ihn direkte Bankenhilfen des ESM nur unter hohen Voraussetzungen infrage kommen. Dazu zählen eine Haftungskaskade (bail in), nach der zunächst die Eigentümer, Gläubiger und großen Einleger einer Bank haften müssen, dann die Nationalstaaten und zum Schluss erst der ESM. Entsprechend äußerten sich die EU-Finanzminister auch am Freitag nach ihren Beratungen in Brüssel. Hinzu kommt: Weil der ESM bisher Banken nur indirekt stützen kann, müsste außerdem das deutsche ESM-Gesetz geändert werden, um einen direkten Weg zu eröffnen. Zudem muss aus deutscher Sicht ein gemeinsamer Abwicklungsmechanismus auf Basis einer einwandfreien Rechtsgrundlage errichtet sein.
Schneider sagte, die Bail-In-Regeln dürften nicht verwässert werden: "Die Steuerzahler müssen geschützt bleiben, und sie bleiben nur geschützt, wenn es keine Aufweichung der vereinbarten Haftungskaskade gibt." Außerdem betonte er, dass eine Finanztransaktionssteuer einer von zehn Punkten sei, die aus Sicht der SPD zentral seien für eine Koalition mit der Union. Die Verhandlungen über die Einführung der Steuer in einigen EU-Länder stocken allerdings seit geraumer Zeit. (afp/rtr)