Kairo. Das Strafverfahren gegen den entmachteten islamistischen Präsidenten schürt erneut die Spannungen in Ägypten. Seine Anhänger wollen wieder massenhaft auf die Straße gehen. Die Staatsmacht droht “Chaoten“ Härte an. Zehntausende Sicherheitskräfte mobilisiert.
Unter massiven Sicherheitsvorkehrungen beginnt am Montag in Kairo der Strafprozess gegen den ehemaligen ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi. Der 62-Jährige sowie 14 weitere Führungsmitglieder der islamistischen Muslimbruderschaft seien bereits im Gericht eingetroffen, berichtete das ägyptische Fernsehehen. Die Staatsanwaltschaft wirft Mursi und anderen Funktionären vor, sie hätten zur Tötung von oppositionellen Demonstranten angestiftet.
Es ist der erste öffentliche Auftritt des Ex-Präsidenten, seit er am 3. Juli nach Massenprotesten vom Militär entmachtet worden war. Seitdem wird er an einem unbekannten Ort festgehalten. Mursi war der erste frei und demokratisch gewählte Staatschef Ägyptens. Die Muslimbruderschaft hat für den Montag zu Großkundgebungen unter dem Motto "Prozess des Volkswillens" aufgerufen.
Ein ordentlicher Prozess ist kaum zu erwarten
Kern der Anklage sind blutige Zusammenstöße vor dem Präsidentenpalast in Kairo im Dezember des Vorjahres, als Mursi in diesem noch amtierte. Zehn Menschen starben, als islamistische Schlägertrupps Mursi-feindliche Demonstranten vor dem Palast angriffen. Die Staatsanwaltschaft behauptet, dass Mursi und die anderen Angeklagten die Schlägertrupps gesteuert haben.
Die Muslimbrüder sehen die Geschehnisse naturgemäß anders. Ihrer Darstellung zufolge sei die Gewalt von den Demonstranten ausgegangen. Polizei und Präsidentengarde hätten sich geweigert einzuschreiten. Die eigenen Anhänger seien in der Folge nicht zu stoppen gewesen. Außerdem habe es auch unter ihnen Tote gegeben.
Unter normalen Umständen hätte ein ordentliches, unabhängiges Gericht gute Chancen, die Wahrheit zu ermitteln. Doch die Gegebenheiten im heutigen Ägypten sind von Normalität weit entfernt. Das Militär hat die Muslimbrüder nicht nur entmachtet, sondern verfolgt sie darüber hinaus noch gnadenlos. Fast alle ihrer Spitzenpolitiker sitzen in Untersuchungshaft. Ihre weitgehend friedlichen Proteste haben die Sicherheitskräfte blutig unterdrückt. Ihre Organisation wurde formell verboten. Sie arbeitet im Untergrund weiter.
Auch die Muslim-Brüder sind nicht an Normalität interessiert
Der Prozess soll in der Polizeiakademie von Neu-Kairo über die Bühne gehen. Dort hatte bereits das Verfahren gegen den 2011 gestürzten Langzeit-Machthaber Husni Mubarak stattgefunden. Ursprünglich war in Kairo spekuliert worden, dass der Mursi-Prozess in der Polizeiakademie in Tora abgehalten würde. Diese liegt in unmittelbarer Nähe zum berüchtigten Zentralgefängnis von Tora, in dem Mursis Mitangeklagte inhaftiert sind.
Doch auch die Muslimbrüder sind derzeit nicht an einer Rückkehr zur Normalität interessiert. In ihnen lebt die Fiktion, dass Mohammed Mursi der amtierende Präsident Ägyptens ist. Die gewaltsame Entfernung des in Direktwahl gewählten Präsidenten ist für sie ein Putsch, mit dem ein Zustand außerhalb jeglicher Gesetzlichkeit geschaffen worden sei.
Dem will Mursi auch seine Strategie vor Gericht unterordnen, wie im Vorfeld des Prozesses bekanntwurde. Der Islamist will auf jede Verteidigung durch einen Anwalt verzichten, weil er das Verfahren als solches nicht anerkennt. Rechtsanwälte seines Juristenteams würden den Prozess lediglich "beobachten", hieß es. Man darf mit einem sehr politischen Auftretens Mursis rechnen, so er überhaupt das Wort erteilt bekommt.
Proteste der Islamisten erwartet
Die Muslimbruderschaft ruft für den Tag des Prozessbeginns ihre Anhänger zu neuen Großdemonstrationen unter dem Motto "Prozess des Volkswillens" auf. Die Islamisten hoffen immer noch darauf, mit Millionenmassen auf den Straßen das Land lahmlegen und die Militärs zum Rückzug zwingen zu können. Doch das war schon im Sommer, unmittelbar nach dem Umsturz, illusorisch. Zwar nicht Millionen, aber immerhin Hunderttausende waren ihren damaligen Aufrufen gefolgt.
Die Sicherheitskräfte trieben die Dauerkundgebungen Mitte August gewaltsam auseinander, rund 1000 Tote blieben zurück. Für den Montag hat das Innenministerium erneut angekündigt, "alle zu Gebote stehenden Mittel einzusetzen, um Chaos nicht zuzulassen". Laut Augenzeugen sind zehntausende Soldaten und Polizisten unterwegs, um für Ruhe zu sorgen. (dpa)