Moskau. Putingegner Alexej Nawalny bleibt in Freiheit - vorerst. Nachdem seine fünfjährige Haftstrafe zur Bewährung ausgesetzt wurde, hängt das Schicksal des scharfen Kremlkritikers noch stärker als bisher von Präsident Putin ab. Solange seine Bewährung läuft, darf er nicht bei Wahlen antreten.

Ein wenig erinnert der Empfang für den verurteilten Oppositionspolitiker Alexej Nawalny in Moskau an seine Ankunft im Juli. Wie damals steigt der scharfe Kritiker von Kremlchef Wladimir Putin am Jaroslawler Bahnhof strahlend aus dem Zug, der ihn aus dem Gerichtsort Kirow zurück in die Hauptstadt gebracht hat. Anhänger reichen ihm und seiner Frau Julia Blumen, Fotografen belagern das Paar. Doch zu einem Triumphzug durch jubelnde Menschenmassen wie noch vor drei Monaten nach dem ersten Prozess wegen Veruntreuung gerät die Heimkehr diesmal nicht. "Der Erfolg weicht der Müdigkeit", kommentiert selbst der regierungskritische Fernsehsender Doschd.

Nawalny bleibt zwar vorerst in Freiheit, seine fünfjährige Haftstrafe ist zur Bewährung ausgesetzt. Doch rätseln auch viele Unterstützer des charismatischen Bloggers, welche Folgen das neue Urteil von Kirow für ihn und die gesamte Opposition hat. Und warum hat die als gesteuert geltende Justiz den Richterspruch abgemildert?

Kremlnahe Experten betonen, Putin setze neuerdings auf einen Kuschelkurs mit seinen Gegnern, die er noch vor kurzem mit scharfen Gesetzen vor sich hertrieb. "Die Gerichtsentscheidung bekräftigt die Bereitschaft des Kreml, den für ihn schwierigen Dialog mit der Opposition fortzusetzen", schreibt etwa die Zeitung "Iswestija". Die Haftaufhebung sei nur die logische Folge dieses Tauwetters.

Will der Kreml Kritik vor den Olympischen Kritik verhindern?

Als Beispiele gelten auch der Einzug des Putin-Gegners und früheren Vizeregierungschefs Boris Nemzow ins Parlament des Gebiets Jaroslawl rund 250 Kilometer nordöstlich von Moskau sowie der Sieg des Regierungskritikers Jewgeni Roisman bei der Bürgermeisterwahl in der Millionenstadt Jekaterinburg am Ural. Und nicht zuletzt Nawalnys überraschend starkes Abschneiden bei der Abstimmung über das Moskauer Stadtoberhaupt mit mehr als einem Viertel der Stimmen. Wahlerfolge seiner Gegner hatte der Kreml nach Ansicht von Beobachtern zuvor nicht zugelassen.

Der Politologe Stanislaw Belkowski spricht bereits von einer "Perestroika 2" - einer "Umgestaltung" wie unter dem sowjetischen Kremlchef Michail Gorbatschow Ende der 1980er Jahre. In Moskau heißt es, dem gewieften Ex-Geheimdienstchef Putin gehe es insbesondere darum, vor den Olympischen Winterspielen 2014 im russischen Sotschi international keine neue Kritik auszulösen - wie jüngst mit dem Verbot von "Homosexuellen-Propaganda". In den wenigen Monaten bis zu dem für Russlands Darstellung so wichtigen Turnier dürfe der ohnehin moskaukritische Westen keine Gelegenheit zu neuer Empörung haben.

Nawalny wertet Urteil nicht als Sieg

So einfach aber stellt sich die Lage für Nawalny dann aber doch nicht dar, meinen Regierungsgegner. Sie sprechen von einem "vergifteten Urteil". Der 37-Jährige hänge ohnehin weiter "am Haken des Kreml", schreibt die Zeitung "Wedomosti". Schon verweisen Beobachter auf den von der Justiz kaltgestellten Oppositionellen Sergej Udalzow. Der Chef der Linken Front sitzt seit Februar ohne Kontakt nach außen in Hausarrest und spielt seitdem fast keine Rolle.

Auch Nawalnys politische Zukunft steht nun infrage: Solange seine Bewährung läuft, darf er nicht bei Wahlen antreten. Eine von ihm selbst ins Spiel gebrachte Kandidatur bei der Präsidentenwahl 2018 wäre nicht möglich. Zudem muss der hervorragende Rhetoriker fürchten, beim kleinsten Anlass hinter Gittern zu landen. Ändern könnte dies zwar eine Amnestie, die Putin zum 20. Jahrestag der Verfassung im Dezember plant. Aber gegen Nawalny laufen noch weitere umstrittene Verfahren. In jedem einzelnen droht ihm eine Haftstrafe.

"Es wäre absonderlich, das Urteil als Sieg zu werten", meint denn auch Nawalny selbst nach dem Richterspruch. Seinen Kampf aufgeben will der Familienvater aber nicht: "Teilnahme an Wahlen bedeutet nicht nur, zu kandidieren. Wir werden ein geeignetes Format finden." (dpa)