Berlin. Im Koalitionspoker sendet Horst Seehofer erste Kompromiss-Signale aus. Der CSU-Chef ist bereit, den von der SPD geforderten Mindestlohn von 8,50 Euro zu akzeptieren. Laut einem Medienbericht ist dies nicht die einzige Kröte, die er schlucken will. Jedoch nicht ohne zugleich Gegenleistungen zu fordern.

In Berlin stehen die Zeichen auf Schwarz-Rot. Die SPD bekräftigt jedoch immer wieder, einen Automatismus gebe es nicht. Sie will vor ihrem Konvent deutliche Signale - und CSU-Chef Horst Seehofer liefert sie. Weichenstellungen wurden am Donnerstagnachmittag bei der dritten Sondierungsrunde von CDU, CSU und SPD erwartet. Danach wollte die SPD-Spitze entscheiden, ob sie dem Parteikonvent am Sonntag die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen empfehlen soll.

Um der SPD eine Entscheidung leichter zu machen, signalisierte CSU-Chef Horst Seehofer Entgegenkommen beim Mindestlohn und bei einer doppelten Staatsbürgerschaft. Nach der Absage der Grünen an ein Bündnis mit der Union gilt eine große Koalition als wahrscheinlichste Variante - die SPD stellte aber wiederholt klar, dass es keinen Automatismus gebe.

Seehofer erklärte sich bereit, den von der SPD geforderten Mindestlohn von 8,50 Euro zu akzeptieren, falls auch die Union in den heutigen Gesprächen entscheidende Erfolge erziele. "Für mich ist alles überragend: keine Steuererhöhungen und keine neuen Schulden", sagte er der "Süddeutschen Zeitung".

Kanzlerin Merkel warnt erneut vor zu hohen Mindestlöhnen

Auch interessant

CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe mahnte jedoch, der Ort für Kompromisse seien nicht die Sondierungsgespräche, sondern die Koalitionsverhandlungen. "Es ist Aufgabe der jeweiligen Parteiführung, in der eigenen Partei für Vertrauen in diese Verhandlungen zu werben", sagte er der "Rheinischen Post" (Donnerstag).

Seehofer hielt dem entgegen, es sei offensichtlich, dass die SPD schon vor der Aufnahme von Koalitionsverhandlungen einen Erfolg brauche, den sie ihren Mitgliedern präsentieren könne. "Deshalb muss man nach einem Weg suchen, der die Einführung eines Mindestlohnes gewährleistet, aber nicht Arbeitsplätze kostet." Die SPD beharrt auf Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro in Ost und West.

CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel warnte erneut, zu hohe Mindestlöhne könnten Stellen vernichten. Dies sieht die Wirtschaft genauso: Der scheidende Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt rief Union und SPD in der "Rheinischen Post" dazu auf, zügig eine neue Regierung zu bilden. Die Union dürfe aber der SPD-Forderung nach einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn nicht nachgeben. Er verwies auf eine Studie des Münchner Ifo-Instituts, das 1,2 Millionen Arbeitsplätze durch einen Mindestlohn von 8,50 Euro gefährdet sieht.

CSU offenbar auch bei doppelter Staatsbürgerschaft kompromissbereit

Der bayerische Ministerpräsident Seehofer hat nach Informationen der Zeitung in den Sondierungen mit den Grünen offenbar auch ein Umdenken in der Flüchtlingspolitik und bei der Frage einer doppelten Staatsbürgerschaft für Ausländer signalisiert. Nachdem CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich Argumente gegen den "Doppelpass" erläutert hatte, habe Seehofer nach Angaben von Teilnehmern erklärt: "Um Missverständnisse zu vermeiden: Ich habe hier meine Gesprächsbereitschaft namens der gesamten CSU mitgeteilt."

Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit sagte der "Berliner Zeitung" (Donnerstag), ob die SPD eine Einladung zu offiziellen Koalitionsverhandlungen annehme, hänge allein von den Inhalten ab. "Da muss die Kanzlerin die Voraussetzungen schaffen." Kommt es zu Verhandlungen und einem Koalitionsvertrag, sollen über diesen am Ende alle 470 000 SPD-Mitglieder abstimmen.

Der Chef des SPD-Arbeitnehmerflügels, Klaus Barthel, zeigte sich indes offen für Sondierungen über Rot-Rot-Grün. Barthel sagte der "Bild"-Zeitung (Donnerstag): "Wenn die Union der SPD in Fragen wie Rente und Neuordnung auf dem Arbeitsmarkt nicht entgegenkommt, muss in der Partei über alle möglichen Konstellationen neu nachgedacht werden. Dazu zählen auch Sondierungen mit Grünen und Linken."

Wirtschaftsforscher fürchten Folgen des flächendeckenden Mindestlohns 

Führende Wirtschaftsforscher warnen vor einem flächendeckenden Mindestlohn in Deutschland. "Ein einheitlicher ... Mindestlohn hätte wahrscheinlich deutlich negativere Folgen für den Arbeitsmarkt als die bisherigen Branchenverträge", heißt es im Herbstgutachten der Institute vom Donnerstag. Ein Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde, wie er von der SPD gefordert und in die aktuellen Sondierungsgespräche zur Regierungsbildung eingebracht wurde, könnte in Ostdeutschland zu "einem beträchtlichem Stellenabbau" führen. Denn dort verdienten ein Viertel aller Arbeitnehmer weniger als diesen Stundenlohn. Kleinere Betriebe wären wohl stärker betroffen als große.

Der Geschäftsführer der Niederlassung des Ifo-Insituts in Dresden, Marcel Thum, äußerte sich im Reuters-Gespräch ebenfalls "sehr skeptisch" zu einem flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde in Deutschland. Er verwies auf eine unter anderem von ihm selbst mitverfasste Studie, nach der bis zu einer Million Arbeitsplätze im Lande dadurch verloren gehen könnten. Überproportional viele Stellen - nämlich mehr als ein Drittel - würden dann in Ostdeutschland wegfallen. Dabei gehe es auch um viele Mini-Jobs und Teilzeit-Beschäftigungen. "Es kann natürlich sein, dass sich die ganze Lohnskala nach oben schiebt", gab er ergänzend zu bedenken. Aus ökonomischer Sicht sehe er einen einheitlichen Mindestlohn "insgesamt sehr kritisch", sagte Thum.

Insgesamt arbeiten nach Experten-Analysen rund fünf Millionen Menschen in Deutschland zu Stundenlöhnen unterhalb von 8,50 Euro je Stunde. In Ostdeutschland liegt die Quote mit rund einem Viertel mehr als doppelt so hoch wie in Westdeutschland. (dpa/rtr)