Essen. . Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) fürchtet eine Kosten-Lawine für arme Städte. Wohlfahrtsverbände loben hingegen das Urteil des Landessozialgerichtes NRW. Es sei ein Gebot der Mitmenschlichkeit, EU-Zuwanderern Zugang zu Hartz IV zu gewähren.

Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) fürchtet wegen des aktuellen Hartz-IV-Urteils des Landessozialgerichts erhebliche finanzielle Belastungen für die Städte. „Die Folgen der europäischen Freizügigkeit dürfen nicht bei den Kommunen abgeladen werden“, warnte er.

Das höchste Sozialgericht in NRW hatte am Donnerstag arbeitslosen EU-Bürgern, die sich schon lange in Deutschland aufhalten, ein Recht auf Hartz-IV-Unterstützung zugesprochen.

Baranowski sieht nun den Bund in der Pflicht, die Folgen des Urteils für die Städte zu mildern. Die von Zuwanderung besonders berührten Städte Dortmund und Duisburg erkannten gestern allerdings keine große Dramatik in dem Richterspruch. Wohlfahrtsverbände und Unterstützer von Flüchtlingen lobten das Urteil.

Die Entscheidung des Landessozialgerichts, dass EU-Zuwanderer unter Umständen Anspruch auf Hartz IV haben, schlägt hohe Wellen. Während zum Beispiel der Deutsche Mieterbund und der Flüchtlingsrat NRW das Urteil ausdrücklich begrüßten, fürchtet Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski (SPD) die Folgen für die Städte. „Wir haben bei den Beschlüssen zur EU-Erweiterung nicht mit am Tisch gesessen, aber sollen jetzt die finanziellen Folgen tragen. Das kann der Bund nicht mit uns machen“, sagte Baranowski.

Gut möglich, dass das Bundessozialgericht dazu verhandeln muss

Nach dem Richterspruch dürfen sich unter anderen Rumänen und Bulgaren, die längere Zeit in Deutschland leben und hier keine Arbeit finden, Hoffnung auf Hartz-Unterstützung machen. Baranowski glaubt daher, dass „auf die Kommunen zahlreiche neue Leistungsanträge und damit neue Kosten zukommen könnten“.

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In den beiden NRW-Städten, in denen besonders viele Neubürger aus Südosteuropa leben – Duisburg und Dortmund – wurde das Thema gestern tief gehängt. Eine Sprecherin der Stadt Dortmund erinnerte daran, dass gegen das Urteil Revision zugelassen ist. Gut möglich also, dass sich demnächst das Bundessozialgericht in Kassel mit dieser Frage beschäftigen muss. Ähnlich äußerte sich der Deutsche Städtetag.

Duisburg hängt das Thema tief

Im Duisburger Rathaus rechnet man zunächst nicht mit harten Folgen durch das Essener Urteil. „In diesem Jahr ist es für uns nicht mehr relevant, und im nächsten Jahr gilt sowieso die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit für EU-Zuwanderer. Dann können diese – unabhängig von dem aktuellen Urteil – Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II wie zum Beispiel Geld für die Kosten der Unterkunft beantragen“, sagte eine Sprecherin der Stadt Duisburg. Diese Anträge würden dann aber nicht automatisch bewilligt, sondern immer „im Einzelfall geprüft“ werden.

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Der Deutsche Mieterbund (DMB) in NRW begrüßte ausdrücklich die Entscheidung zu Sozialansprüchen von Zuwanderern: „Dieses Urteil hilft, dass Zuwanderer in guten Wohnverhältnissen untergebracht werden und nicht unter Ausbeutung leiden müssen“, sagte der Vorsitzende Bernhard von Grünberg.

Ein „Gebot der Mitmenschlichkeit und der Vernunft“

Der Paritätische Wohlfahrtsverband nannte es ein „Gebot der Mitmenschlichkeit und der Vernunft“, allen EU-Bürgern Zugang zur Grundsicherung für Arbeitslose zu gewähren. Der Verband rät Betroffenen, Hartz IV zu beantragen. Geschäftsführer Ulrich Schneider teilt die Sorge Baranowskis nicht: „Hartz IV wird vom Bund gezahlt, die Kommunen müssen nur für die Kosten der Unterkunft aufkommen.“ Da gleichzeitig kommunale Notprogramme überflüssig würden, könnten die Städte sogar mit Entlastung rechnen.

Der Flüchtlingsrat NRW nannte das Urteil des Sozialgerichts eine „Anerkennung der europäischen Realität“. Flüchtlingshelfer Claudius Voigt sagte dieser Zeitung: „Südosteuropäer sollen zum Schweineschlachten nach Deutschland kommen, aber keine Leistungen beantragen dürfen? Solch eine Einstellung ist nicht in Ordnung.“