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Auch bei höherer Gewalt müssen Bahnfirmen in der EU künftig ihren Fahrgästen einen Teil des Fahrpreises erstatten, wenn ihre Züge sich stark verspäten. So entschied der Europäische Gerichtshof in Luxemburg am Donnerstag die Rechtssache C-509/11. Orkan, Hochwasser, Schnee sind keine preiswerten Erklärungen mehr. Was soll man dazu sagen? Alle reden vom Wetter, die Bahn nicht mehr.

Was ändert sich?

Bisher mussten Bahnfirmen bei großer Verspätung nichts erstatten, wenn etwa Sturm oder Streik die Verspätung verursachten. Jetzt müssen sie doch. Das ist aber nach der Entscheidung des Gerichtshofes ausdrücklich keine Entschädigung, sondern nur ein Ausgleich dafür, dass das Unternehmen die gekaufte Dienstleistung – Transport von A nach B halbwegs nach Fahrplan – nicht zustande brachte.

Was ist, wenn man durch die Verspätung etwas Wichtiges verpasst?

Flugzeug in den Urlaub hat schon abgehoben? Vorstellungsgespräch ist versäumt? Hier greift die höhere Gewalt noch, hierfür gibt es, wenn der Zug einfach nicht pünktlich sein konnte, keine Entschädigung. Sie müsste gesondert eingeklagt werden unter Risiko des Scheiterns.

Welche Rechte hat der Fahrgast?

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Bei einer Verspätung von einer bis zwei Stunden am Zielort bekommt er mindestens ein Viertel des Fahrpreises erstattet, bei mehr als zwei Stunden mindestens die Hälfte. Antragsformulare gibt es bei allen Bahnfirmen. Der Anspruch muss spätestens ein Jahr nach dem Ende der Gültigkeit des Fahrscheins erhoben werden.

Was sagt die Deutsche Bahn?

Sie will die Entscheidung „unverzüglich umsetzen“ und begrüßt, dass jetzt „Rechtssicherheit“ herrscht.

Wieso Rechtssicherheit, Unwetter sind doch eindeutig.

Unwetter ja. Streik auch. Aber höhere Gewalt kann auch ein Unfall sein oder eine Streckensperrung wegen eines Brandes im Gewerbegebiet daneben. Und wer ist jetzt schuld? Juristisch spitzfindig, könnten selbst die Sommerverspätungen am Mainzer Hauptbahnhof höhere Gewalt gewesen sein: Weil die Fahrbetriebe DB Regio und DB Fernverkehr behindert wurden von Personalmangel bei DB Netz. Deshalb spricht auch der Fahrgästeverband ,pro Bahn’ davon, nun seien „sämtlichen Überlegungen die Grundlage entzogen, wo höhere Gewalt anfängt und wo sie aufhört“. Die Bahnfirmen müssten ihre Geschäftsbedingungen rasch anpassen.

Gab es überhaupt viel Streit zwischen Bahn und Kunden wegen verweigerter Entschädigung bei höherer Gewalt?

Nein, eigentlich nicht. Die Bahn betont, sie habe von einem „solchen Haftungsausschluss eher zurückhaltend Gebrauch gemacht“, und das billigt ihr auch ,pro Bahn’ zu: Sie habe darauf nur in Einzelfällen zurückgegriffen. Zuletzt bei den Unwettern im Sommer, allerdings gab sie häufig stattdessen auch Hotel- oder Taxi-Gutscheine aus.

Was ist mit Fluglinien, mit Schiffs- und Busverkehr?

Das Urteil bezieht sich ausschließlich auf Bahnen, die Bedingungen seien nicht vergleichbar, so das Gericht. Der „Verkehrsclub Deutschland (VCD)“ kritisierte das am Donnerstag: Es handele sich um „Wettbewerbsverzerrung zu Lasten des Eisenbahnverkehrs“, so der VCD-Vorsitzende Michael Ziesak. Die Bahn selbst fordert „im Interesse aller Kunden eine rechtliche Gleichbehandlung der verschiedenen Verkehrsträger“.

Werden Bahn-Fahrkarten jetzt teurer?

Der VCD befürchtet das, aber es geht wohl nicht um größere Summen. Die Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) zahlen schon seit 2011 Erstattungen aus auch bei höherer Gewalt. Erstattungen aller Art kosteten das Unternehmen bei einem Umsatz von 5,2 Milliarden Euro im Jahr 2012 ganze 360 000 Euro – „nicht der ganz große Betrag“, sagt in Wien die ÖBB-Sprecherin Magister Doktor Sarah Nettel.