Washington. Nachdem Großbritannien überraschend einen Militärschlag abgelehnt hat, denken die USA über einen Alleingang gegen Syrien nach. Aber auch in Washington wachsen die Zweifel am Sinn eines militärischen Vorgehens. Kongressabgeordnete haben erhebliche Bedenken.
Von Joschka Fischer ist der Satz überliefert, der seinerzeit den amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld aus der Fassung brachte: „I am not convinced“ – Ich bin nicht überzeugt. So beschied der rot-grüne Bundesaußenminister sein Gegenüber, als Amerika vor dem Einmarsch im Irak 2003 nach Bündnisgenossen suchte. Geschichte wiederholt sich. Teilweise. Erneut ist die Weltgemeinschaft aufgefordert, Amerika zu glauben. Oder auch nicht. Im Fall des Giftgas-Einsatzes in Syrien ist die Supermacht jedoch nicht mehr auf alliierte Waffenbrüder aus. Die Wahrheit glaubt sie ohnehin auf ihrer Seite. Was Außenminister Kerry und Obama gestern unmissverständlich andeuteten, läuft auf einen militärischen Alleingang hinaus. Trotz vehementer Bedenken.
Schon als die Top-Vertreter der US-Regierung am späten Donnerstagabend über 90 Minuten den Spitzen der zuständigen Kongress-Ausschüsse in einer Telefonkonferenz die informelle Zustimmung zu einer militärischen Strafaktion des syrischen Giftgas-Despoten Assad abringen wollten, waren die Vorbehalte mit Händen zu greifen.
Unterlagen ins Internet gestellt
Einflussreiche Republikaner wie Senator Jim Inhofe aus Oklahoma monierten, dass die Regierung weder hieb- und stichfeste Beweise für die Urheberschaft Assads an den Giftgas-Attacken beibrachte. Noch einen strategischen Plan über Sinn, Zweck und Risiken des geplanten Militäreinsatzes. Noch den Nachweis, wie der Einsatz finanziert werden soll. Entschiedene Befürworter eines Militärschlages waren in der Minderheit.
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Was die Parlamentarier vorab erfuhren, bekam die Weltöffentlichkeit am Freitag vorgesetzt: Neben einer flammenden Rede im Stile eines Staatsanwaltes, die Außenminister John Kerry hielt, gab es im Internet Unterlagen und Landkarten mit konkreten Zahlen und Tatsachenbeschreibungen einzusehen, die ein Nenner eint: Assad hat, da ist sich die US-Regierung felsenfest sicher, 1429 Menschen vergasen lassen und damit ein weltweit geltendes Tabu verletzt. Und muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden. Wie?
Überraschendes Nein aus London
Obama wiederholte am Abend sein Mantra der vergangenen Tage - „keine abschließende Entscheidung“, nahm aber zum ersten Mal die Option einer zeitlich und materiell begrenzten Strafaktion via Raketen offiziell in den Mund. Seine Begründung: Andernfalls sei das Risiko zu groß, dass Assad erneut Chemiewaffen einsetzt, beziehungsweise, dass besagte Gase in falsche Hände geraten. Nach Großbritanniens überraschendem „No“ zu einem Raketen-Denkzettel für Damaskus ist damit eine militärische Solo-Aktion der USA sehr wahrscheinlich geworden. Manche Beobachter in Washington sagen bereits: „unvermeidbar“.
Die abrupt unterbrochene Unterstützung des bislang wichtigsten und verlässlichsten Partners Großbritannien hat Washington kalt erwischt. Nach siebenstündiger heftig geführter Debatte hatte das Unterhaus in London am späten Donnerstagabend einer militärischen Strafaktion gegen die syrische Regierung und ihre Truppen mit 285 zu 272 Stimmen einen Riegel vorgeschoben. Für Premierminister Cameron, der mit beschwörenden Worten um Zustimmung geworben hatte, stellt die Entscheidung nach erster Analyse aus US-Regierungskreisen „eine noch lange nachwirkende Niederlage“ dar.
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Gegenüber den Kongressvertretern bemühte sich die Regierung um eine lückenlose Beweisführung für die These, dass allein Assad hinter den Giftgas-Attacken steht. Dass die Befehlskette zweifelsfrei zum syrischen Präsidenten führte, gab allerdings später kein einziger Abgeordneter an.
Carl Levin, einer der erfahrensten Verteidigungspolitiker im US-Kongress, mahnte Obama zur Vorsicht. Levin, ein Demokrat, und normalerweise fest an der Seite des Präsidenten, riet der Regierung dazu, die Eskalations-Spirale aufzubrechen. Die frühestens für diesen Sonntag erwarteten Resultate der UN-Inspektoren sollten abgewartet werden, obwohl Außenminister Kerry das für überflüssig hält. Außerdem sei eine möglichst breite internationale Unterstützung für ein Vorgehen in Syrien zu organisieren. Damit ist der UN-Sicherheitsrat gemeint. Obamas Urteil über das Gremium im Fall Syrien: „unfähig“.