Washington. . Nach dem Nein aus London wachsen in Washington die Zweifel am Sinn eines Militärschlags in Syrien. Die Erinnerung an den Irakkrieg wiegt schwer. Die syrische Opposition ist enttäuscht: Die Entscheidung der Briten könne den syrischen Präsidenten Assad ermutigen, Chemiewaffen erneut einzusetzen.
Von Joschka Fischer ist der legendäre Spruch überliefert, der seinerzeit den amerikanischen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld aus der Fassung brachte: „I am not convinced“ – Ich bin bin nicht überzeugt. So beschied der rot-grüne Bundesaußenminister sein Gegenüber, als Amerika vor dem Einmarsch im Irak 2003 nach Bündnisgenossen suchte. Geschichte wiederholt sich.
Als die Top-Vertreter der US-Regierung am späten Donnerstagabend über 90 Minuten den Spitzen der zuständigen Kongress-Ausschüsse in einer Telefonkonferenz die Zustimmung zu einer militärischen Strafaktion des syrischen Despoten Assad abringen wollte, sollen nach Angaben von Eingeweihten ähnlich abschlägige Worte gefallen sein.
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Einflussreiche Republikaner wie Senator Jim Inhofe aus Oklahoma monierten, dass die Regierung weder hieb- und stichfeste Beweise für die Urheberschaft Assads an den Giftgas-Attacken beibrachte. Noch einen strategischen Plan über Sinn, Zweck und Risiken des geplanten Militäreinsatzes. Noch den Nachweis, wie der Einsatz finanziert werden soll. Entschiedene Befürworter eines Militärschlages waren in der Minderheit.
Das Assad-Regime von einem erneuten Einsatz von Chemie-Kampfstoffen abhalten
Dennoch: Nach Großbritanniens überraschendem „No“ zu einem Raketen-Denkzettel für Damaskus denkt US-Präsident Barack Obama nun über einen Alleingang nach, um nach eigenen Worten das Assad-Regime von einem erneuten Einsatz weltweit geächteter Chemie-Kampfstoffe abzuhalten. Der Präsident sei dazu ermächtigt, wenn amerikanische Interessen betroffen seien, hieß es am Freitag von Offiziellen. Sprich: die Befürchtung, dass syrische Giftgas-Waffen in falsche Hände geraten und früher oder gegen die USA oder Partnerländer wie Israel gerichtet werden könnten.
Die abrupt unterbrochene Unterstützung des bislang wichtigsten und verlässlichsten Partners Großbritannien hat Washington kalt erwischt. Nach siebenstündiger heftig geführter Debatte hatte das Unterhaus in London am späten Donnerstagabend einer militärischen Strafaktion gegen die syrische Regierung und ihre Truppen mit 285 zu 272 Stimmen einen Riegel vorgeschoben.
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Für Premierminister David Cameron, der mit beschwörenden Worten um Zustimmung geworben hatte, stellt die Entscheidung nach erster Analyse aus US-Regierungskreisen „eine noch lange nachwirkende Niederlage“ dar.
Nach Englands Abgang und Deutschlands erklärter Weigerung, sich an einem militärischen Unterfangen zu beteiligen, kann Washington in Europa bisher nur mit der Unterstützung Frankreichs rechnen, wo Präsident François Hollande auch ohne Parlamentsbeschluss handlungsfähig ist.
Giftgas-Einsatz wurde möglicherweise von untergeordneten Stellen befehligt
Dem Vernehmen nach bemühte sich die US-Regierung gegenüber den Kongressvertretern um eine lückenlose Beweisführung für die These, dass Assad hinter den Giftgas-Attacken vom 21. August steht. Nach der Unterrichtung sickerte jedoch durch, was einzelne Medien bereits vorher berichtet hatten: Die Indizien für den Einsatz des Nervengiftes Sarin seien erdrückend gewesen, sagten Insider.
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Dass die Befehlskette jedoch zweifelsfrei zu Assad führe, habe man nicht vernehmen können. Abgehörte Telefonate hätten den Eindruck nahegelegt, dass der Giftgas-Einsatz in einem Vorort von Damaskus möglicherweise von untergeordneten Stellen befehligt war und „aus dem Ruder gelaufen“ ist.
Die Resultate der UN-Inspektoren abwarten
Carl Levin und Howard „Buck“ McKeon, zwei der erfahrensten Verteidigungspolitiker im US-Kongress, mahnten Obama zur Vorsicht. Levin, ein Demokrat, und normalerweise fest an der Seite des Präsidenten, riet der Regierung dazu, die Eskalations-Spirale aufzubrechen, die frühestens für diesen Sonntag erwarteten Resultate der UN-Inspektoren abzuwarten und eine möglichst breite internationale Unterstützung für ein Vorgehen in Syrien zu organisieren.
McKeon forderte Präsident Obama mit Nachdruck auf, vor einem eventuellen Angriff in Syrien dem amerikanischen Volk Sinn und Zweck der Aktion zu erklären. Aber dazu, sagen Kritiker der Regierung laut „Washington Post“, müsste Obama selbst hundertprozentig überzeugt sein, dass „eine absehbar riskante Militäraktion wirklich nutzt“.