Berlin. Der NSU-Untersuchungsausschuss legt am Donnerstag seinen Abschlussbericht vor. Über anderthalb Jahre lang untersuchten die Parlamentarier die beispiellose Mordserie. Vor allem die Fehler der Ermittlungsbehörden standen dabei im Mittelpunkt. Ihnen gibt der Ausschuss einige Empfehlungen auf den Weg.
Die Aufgabe des NSU-Untersuchungsausschusses war übergroß: das Unvorstellbare erklären, dem Unbegreiflichen auf den Grund gehen. Wie ist es möglich, dass eine kleine Zelle von rechten Terroristen jahrelang unerkannt durch Deutschland ziehen konnte, zehn Menschen ermordete, Bomben zündete und Banken ausraubte? Wie ist zu erklären, dass Polizei und Verfassungsschutz bei alldem ahnungslos waren und das Morden nicht stoppen konnten?
Der NSU-Ausschuss des Bundestages versuchte mehr als anderthalb Jahre lang, Antworten auf diese beklemmenden Fragen zu finden. Die Arbeit ist nun erledigt. Doch es wartet noch eine viel größere Aufgabe: verhindern, dass sich eine Mordserie wie diese und das Versagen der Ermittler wiederholt.
Kaltblütige Morde an zehn Menschen
Ende Januar 2012 begann der Ausschuss, die verstörenden Verbrechen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) zu untersuchen. Die Bande soll zwischen 2000 und 2007 zehn Menschen umgebracht haben - kaltblütig erschossen, aus nächster Nähe. Hinzu kamen zwei Sprengstoffanschläge und zahlreiche Banküberfälle. Polizei und Nachrichtendienste kamen der Gruppe über Jahre nicht auf die Spur. Erst im November 2011 flog die Terrorzelle auf.
Bilder zum NSU-Prozess
Der Untersuchungsausschuss tagte in jeder Sitzungswoche des Parlaments, oft gleich zwei Mal. 349 Stunden und 20 Minuten verbrachten die Mitglieder damit, Zeugen zu befragen. Sie kämpften sich durch rund 12 000 Akten und zähe Vernehmungen, trotzten unkooperativen Behörden und mauernden Mitarbeitern. Immer wieder kamen Akten zu spät beim Ausschuss an. Teilweise rückten Behörden Unterlagen nur widerwillig oder auf Umwegen heraus. Andere Dokumente erreichten den Ausschuss nie, weil sie vorher im Reißwolf landeten.
1000 Seiten starker Abschlussbericht
Trotz der widrigen Umstände brachten die Abgeordneten ihre Arbeit zu Ende. An diesem Donnerstag legen sie ihren Abschlussbericht vor - etwa 1000 Seiten stark. Am 2. September berät der Bundestag in einer Sondersitzung darüber. Auf der Tribüne werden dann auch Angehörige der NSU-Opfer sitzen, und Bundespräsident Joachim Gauck.
Der Bericht ist eine Abhandlung über das geballte Versagen, das sich vom Anfang bis zum Ende durch den Fall NSU zieht. Polizisten und Verfassungsschützer übersahen wichtige Hinweise oder ließen sie versanden, verfolgten Spuren nicht bis zum Ende. Die Ermittler schauten lange in die falsche Richtung. Und vor allem: Sie redeten wenig bis gar nicht miteinander.
"Historisch beispielloses Behördenversagen"
"Dieses Ausmaß an Versagen hätte ich mir nie vorstellen können", sagt der Grünen-Obmann im Ausschuss, Wolfgang Wieland. "Es ist unfassbar." Bei den Behörden habe sich mal Dilettantismus gezeigt, mal "organisierte Unfähigkeit" oder schlicht "Arbeitsverweigerung". "Wir sind von einer Ohnmacht in die nächste gefallen", erzählt er. "Versagen überall - mehr als man eigentlich verkraften kann."
Die SPD wertet die schweren Versäumnisse bei der Aufklärung der Neonazi-Mordserie als "systematisches und flächendeckendes Versagen" der Sicherheitsbehörden. Dass die NSU-Terrorzelle über viele Jahre unentdeckt blieb, sei nicht nur auf eine Häufung handwerklicher Fehler zurückzuführen, sondern habe strukturelle Ursachen. Das sagte die SPD-Obfrau im NSU- Untersuchungsausschuss, Eva Högl, am Mittwoch in Berlin. Der Ausschuss legt an diesem Donnerstag seinen Abschlussbericht vor.
Parteipolitik blieb außen vor
Kaum ein Untersuchungsausschuss bekam bis zum Schluss derart viel Aufmerksamkeit. Und kaum ein Ausschuss kam mit derart wenig Parteipolitik aus: Alle Fraktionen setzten ihn gemeinsam ein, alle Entscheidungen in dem Gremium fielen einstimmig. Das Thema NSU eignet sich nicht für Taktiereien.
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Im Abschlussbericht geben die Abgeordneten ausführliche Empfehlungen für die Zukunft. Vieles davon steht schon länger im Raum: Polizei und Verfassungsschutz etwa sollen verpflichtet werden, sich mehr auszutauschen. Die Sicherheitsbehörden sollen mehr Menschen aus Zuwandererfamilien einstellen und die Ausbildung überarbeiten, um Vorurteile abzubauen.
Vorschriften für V-Leute sollen strenger werden
Die Polizei soll routinemäßig einen rechten Hintergrund prüfen, wenn Migranten Opfer eines schweren Verbrechens werden. Die Vorschriften für den Einsatz von V-Leuten sollen deutlich strenger werden, der Generalbundesanwalt soll mehr Befugnisse bekommen und Initiativen gegen Rechts mehr Geld und Unterstützung.
Was aus den Vorschlägen wird, ist unklar. Die Empfehlungen haben keinerlei bindende Wirkung. "Ich bin optimistisch, dass unsere Vorschläge nicht in der Schublade landen werden, sondern dass sie der nächste Bundestag aufgreift", sagt Edathy. Der Ausschuss habe seine Aufgabe nun erledigt. "Aber die Arbeit an dem Thema wird weitergehen müssen - und vor allem die Arbeit an der Umsetzung der Empfehlungen." (dpa)