München. Im NSU-Prozess sind am Mittwoch weitere Zeugen vernommen worden. Eine Frau und ein Briefträger schilderten den grausamen Fund des erschossenen Lebensmittelhändlers Habil Kilic in dessen Laden im August 2001. Widersprüche gab es bei den Aussagen einer weiteren Zeugin und früheren Polizeiprotokollen.
„Es war eine grauslige Situation.“ Der heute 48-jährige Postzusteller Holger H. beschreibt mit gefasster Stimme als Zeuge vor dem Oberlandesgericht in München, wie er am 9. August 2001 den erschossenen Lebensmittelhändler Habil Kilic in dessen Laden gesehen hat. „Ich konnte gar keine Wunde entdecken, nur eine riesige Blutlache.“ Das Opfer habe aus den Ohren und dem Mund geblutet, schilderte er Mittwoch im NSU-Prozess.
Der Briefträger war an diesem Tag auf seiner Tour in München unterwegs. Als er an dem Geschäft des Opfers vorbeifuhr, kam ihm eine Frau türkischer Abstammung entgegen, die ganz aufgelöst gewirkt habe. „Ich bin rein. Ich dachte, ich könnte noch Erste Hilfe leisten.“ Sofort habe er die Frau zur nahen Polizeiwache geschickt. Er selbst habe im Hinterzimmer per Telefon versucht, Hilfe zu rufen.
Als er danach das Opfer in eine stabile Seitenlage drehte, soll der Sohn der Frau hinter ihm im Geschäft gestanden haben. Das Kind starrte auf den Sterbenden. Es war unfähig, sich zu bewegen. „Ich habe ihn rausgeschickt.“ Nach Angaben des Zeugen atmete das Opfer noch reflexartig und spukte Blut.
Frau hörte das Blutspucken eines NSU-Opers
Dieses Geräusch hörte auch die Frau, die den schwer verletzten Händler hinter der Ladentheke kurz davor entdeckt hatte. Die heute 46-jährige Nuran K. traf damals auf dem Heimweg vor dem Geschäft auf ihren Sohn. Dieser hatte der Mutter erzählt, dass in dem Landen niemand sei, obwohl geöffnet ist. Der Junge wollte Süßigkeiten kaufen. Ob nur ein Kind anwesend war oder mehrere, konnte das Gericht am Mittwoch nicht klären. Da widersprachen sich die Zeugenaussagen vor Gericht und die Polizeiprotokolle von damals.
Die Mutter erzählte dem Gericht, wie auch sie den Laden betreten hatte und niemand anwesend war. Dann habe sie ein „blub-blub-Geräusch“ gehört. „Ich dachte, dass es vielleicht eine Kaffee-Maschine ist“, schildert sie ihre Eindrücke. Dann aber sah sie das Opfer hinter der Theke in einer Blutlache liegen. Das Geräusch kam aus dem Mund des schwer verletzten Mannes.
Ein Rechtmediziner hatte Mittwoch erklärt, dass das Opfer von zwei Durchschüssen getroffen wurde. Der erste sei seitlich ins Gesicht eingedrungen, wäre aber nicht unbedingt tödlich gewesen. Erst der zweite Schuss, der den Mann hinten in den Kopf traf, habe die tödlichen Verletzungen hervorgerufen. Ein Waffeningenieur vom bayerischen Landeskriminalamt sagte aus, dass das Opfer beim zweiten Schuss bereits kniete. Die Tatwaffe sei bereits bei den NSU-Morden in Nürnberg und Hamburg verwendet worden.
Unklarheit bei Aussagen einer Zeugin zu Nationalität
Der Postbote konnte keine Angaben machen, ob er auf seiner Tour vor dem Mord Ungewöhnliches gesehen habe. Auch die 46-jährige Mutter wusste dazu nichts zu sagen. Allerdings hatte das Gericht noch eine dritte Zeugin geladen. Die 67-jährige Frau gab an, etwa zum Tatzeitpunkt zwei junge Männer mit kurzem Haarschnitt unterhalb ihres Fensters beobachtet zu haben, die mit dunklen Fahrrädern weggefahren seien.
Strittig war vor Gericht die Nationalität der Beiden. In einem der Polizeiprotokolle war davon die Rede, dass diese vielleicht türkisch sein könnte. In einer weiteren Vernehmung vier Jahre später soll die ältere Dame von Westeuropäern gesprochen haben. Wolfgang Stahl, einer der Verteidiger von Beate Zschäpe, gab nach der Zeugenbefragung die Anregung, doch den Polizeibeamten vorzuladen, der die Frau damals als Erster befragt hatte.
In den handschriftlichen Notizen soll der Vermerk „osteuropäisch“ stehen. Von türkisch sei dort keine Rede. Die Zeugin bestritt Mittwoch vor Gericht vehement, damals von Türken oder später von Westeuropäern gesprochen zu haben. Sie bestritt allerdings auch, dass die beiden jungen Männer, die sie gesehen habe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt ähnlich sehen. Mit Verweis auf die Fahndungsbilder der Beiden erklärte sie: „Die großen Ohren des Kleineren hätte ich erkannt.“