Essen. Züge fahren nicht, das Waffenregister versagt, Beamten-Beihilfe wird nicht ausgezahlt: Wenn nach massivem Personalabbau im öffentlichen Dienst auch noch die Organisation versagt, kann es gefährlich werden. Der falsche Sparkurs lähmt den Staat. Was ist in Deutschland los?

Der deutsche Staat arbeitet perfekt. Davon ist die Welt überzeugt. Doch es häufen sich Pleiten und Pannen. Nicht nur die Polizei ist überlastet, nicht nur, dass – wie in Mainz – die Bahn nicht mehr fährt. Baustellen sind überall, wo die Folgen massiven Personalsparens mit Organisationsversagen zusammenkommen. Denn: In 20 Jahren ist der öffentliche Dienst von 5,3 auf 3,6 Millionen Köpfe geschrumpft.

„Warten aufs nächste Drama“

Offen von diesem „Organisationsversagen“ spricht Wolfram Kamm vom Verband der Beamten in der Bundeswehr. In rund 50.000 Fällen stapeln sich in diesem Sommer die unbearbeiteten Anträge ehemaliger Soldaten und Zollbediensteten und deren Angehörigen auf Erstattung medizinischer Kosten.

Vorstrecken mussten sie, analog den privaten Kassen, die Zahlung schon immer. Der Erstattungsantrag wurde binnen 15 Tagen bearbeitet. Seit Februar aber heißt es: Warten „bis zu drei Monaten“, sagt Kamm, „selbst Krebskranke bekommen das Geld für die teure Behandlung nicht mehr sofort ersetzt“.

Die Ursache: Weil seit der Bundeswehrreform über ihre Zukunft Unklarheit herrscht und die Versetzung von 2100 Bediensteten in andere Ministerien droht, kehren die Beihilfe-Sachbearbeiter in Stuttgart und Düsseldorf „aus Enttäuschung“ den Rücken.

Viele sind in Landesverwaltungen gewechselt. Ihre Arbeit bleibt liegen. Hilfe kommt nicht aus Berlin, sondern vom Versandapotheker DocMorris. Er bietet im Tarif „BeamtenSpecial“ Zahlungsaufschub an: „Immer mehr Beamte zögern den Kauf von Medikamenten hinaus. Ein nicht unerhebliches Gesundheitsrisiko für die Berufsgruppe“.

Warnaufschriften auf Waffen werden für Herstellernamen gehalten

Polizisten wie der Waffensachbearbeiter Uwe Weber und der Waffenexperte der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Wolfgang Dicke, haben ein Staatsversagen aufgedeckt, das noch viel gefährlicher werden kann. Das nach dem Amoklauf von Winnenden eingerichtete „Nationale Waffenregister“ beim Bundesverwaltungsamt in Köln, in dem seit Januar die Daten von sechs Millionen legalen Waffen und ihrer Besitzer gespeichert sind, funktioniert nicht. Polizeibeamte können nicht mehr in jedem Fall erkennen, ob in einer Wohnung Waffen gemeldet sind.

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Bei der Übertragung der Karteien von 500 lokalen Waffenbehörden in die zentrale Datei mussten fachfremde Kräfte aus anderen Behörden „unter hohem Zeitdruck“ (Dicke) helfen. Da ist es wohl massenweise passiert: Namen, vor allem ausländische, wurden falsch eingetragen. Geburtsdaten wurden „gedreht“. Waffentypen sind verwechselt worden, englische Warnaufschriften („Black powder only“) für Herstellernamen gehalten.

Vor allem: Angaben über den Verkauf einer Waffe wurden weggelassen. Was böse ausgehen kann: Wird eine längst verkaufte Pistole, die als solche nicht mehr in der Datei erkennbar ist, irgendwann als Tatwaffe genutzt, steht beim ahnungs- und schuldlosen Ex-Besitzer schnell das Sondereinsatzkommando in der Wohnung und räumt auf, mahnt die GdP: Ein „Schuss in den Ofen“.

Beim Deutschen Beamtenbund sehen sie vergleichbare Ursachen für die Fehlentwicklungen. „Der schlanke Staat bekommt Magersucht“, hat 2012 der damalige Verbandschef Peter Heesen gewarnt. Verbandssprecher Peter Zitka: „Natürlich muss der Staat sparen. Aber nicht an den falschen Stellen“. Dabei könne alles noch schlimmer kommen. „Wenn ein Lebensmittelprüfer für 1000 Firmen zuständig ist und die Arbeitssicherheit in Betrieben nur alle Dutzend Jahre überprüft wird, dann erleben wir bald das nächste Drama“.