Kairo. . Nach den blutigen Zusammenstößen von Polizei und Islamisten in Ägypten herrscht der Notstand. Mehr als 520 Menschen kamen laut Regierung ums Leben. Die von der Führung verhängte nächtliche Ausgangssperre bringt etwas Ruhe, auch wenn die Spannung im Land fast mit Händen zu greifen ist.
Die Muslimbrüder geben sich im Machtkampf mit dem ägyptischen Militär trotz dessen gewaltsamen Vorgehens gegen die Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi nicht geschlagen. Die Mursi nahestehende Bewegung werde nicht ruhen, bis "der Militärputsch" der Vergangenheit angehöre, erklärte ein Sprecher am Donnerstag über den Kurznachrichtendienst Twitter. Er betonte, dass die Muslimbrüder dabei "stets gewaltfrei und friedlich" vorgehen würden. "Wir bleiben stark, aufsässig und entschlossen."
Bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen in Ägypten sind neuen Angaben der Regierung zufolge mehr als 520 Menschen getötet worden. Die Sicherheitskräfte hatten am Mittwoch in der Hauptstadt Kairo gewaltsam zwei Zeltlager der Anhänger des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi geräumt. Allein bei der Räumung des Protestlagers auf dem Kairoer Rabaa-al-Adawija-Platz seien 202 Menschen getötet worden, sagte ein Vertreter des Gesundheitsministeriums am Donnerstag. 78 Menschen seien in Gizeh getötet worden, wo auf dem Al-Nahda-Platz das zweite kleinere Protestcamp der Islamisten war. Die islamistische Muslimbruderschaft sprach von 2000 Getöteten.
Auswärtiges Amt verschärft Sicherheitswarnung für Ägypten
Die ägyptische Übergangsregierung hat unterdessen ihre Entscheidung verteidigt, die beiden Protestlager der Anhänger des entmachteten Präsidenten Mohamed Mursi gewaltsam aufzulösen. "Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass die Dinge einen Punkt erreicht haben, den kein sich selbst achtender Staat akzeptieren darf", sagte Ministerpräsident Hasem el-Beblawi am Mittwochabend in einer Fernsehansprache.
Die Regierung habe keine andere Wahl gehabt, um eine Ausbreitung von Anarchie zu verhindern, sagte Beblawi weiter. Dennoch sei die Entscheidung nicht leicht gewesen. Der verhängte Notstand solle nur so lange in Kraft bleiben, wie unbedingt nötig. "So Gott will, werden wir weitermachen", ergänzte der Ministerpräsident. "Wir werden unseren demokratischen, zivilen Staat errichten." Mursi war Anfang Juli vom Militär entmachtet worden. Danach wurde die Übergangsregierung eingesetzt.
Nach dem jüngsten Gewaltausbruch in Ägypten hat das Auswärtige Amt seine Sicherheitshinweise erneut verschärft. "Für Kairo steht zu befürchten, dass sich die Sicherheitslage weiter verschlechtert", erklärte das Außenministerium in Berlin. Im ganzen Land sei weiter mit Demonstrationen von Anhängern und Gegnern des gestürzten Präsidenten Mohammed Mursi und Einsätzen der Sicherheitskräfte zu rechnen, die auch einen gewalttätigen Verlauf nehmen könnten. Die Lage bleibe im Moment sehr unübersichtlich.
Vizepräsident ElBaradei reicht aus Protest Rücktritt ein
Aus Protest gegen das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte hatte Vizepräsident Mohamed ElBaradei seinen Rücktritt eingereicht. In einem Brief an Übergangspräsident Adli Mansur erklärte er, es habe gewaltlose Alternativen gegeben, um die politische Krise im Land zu beenden. "Es ist für mich schwierig geworden, weiter die Verantwortung für Entscheidungen zu treffen, mit denen ich nicht übereinstimme, und deren Auswirkungen mir Angst machen", erklärte er. "Ich kann nicht die Verantwortung für einen einzigen Tropfen Blut übernehmen."
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Die ägyptischen Muslimbrüder wollen unterdessen ihre Proteste gegen die Absetzung von Präsident Mohammed Mursi auch nach den blutigen Unruhen vom Mittwoch fortsetzen. Das ägyptische Nachrichtenportal "youm7" berichtete am Donnerstag, die Sicherheitskräfte befürchteten dann "eine neue Welle der Gewalt", wenn die Islamisten an diesem Freitag erneut demonstrieren wollten.
Nach Angaben der staatlichen Medien war nach Mitternacht langsam Ruhe eingekehrt. Das Fernsehen berichtete lediglich von zwei Polizisten, die vor einer Polizeistation in Al-Arisch auf dem Sinai getötet worden seien. Am Donnerstag haben Anhänger des entmachteten ägyptischen Präsidenten Mohammed Mursi eine Polizeistation in der südlichen Stadt Assiut mit Mörsergranaten beschossen. Das berichtete ein Beamter der Sicherheitsdirektion von Assiut. Seinen Angaben zufolge wurden mehrere Polizisten verletzt. Es entbrannte ein Feuergefecht zwischen der Polizei und den Islamisten.
Angriffe auf christliche Kirchen
Die Angriffe von Extremisten auf christliche Kirchen und Besitztümer in Ägypten sind am Donnerstag weitergegangen. Aus Sicherheitskreisen hieß es, in Abanub in der Provinz Assiut sei eine koptische Kirche niedergebrannt worden. Der Feuerwehr sei es nicht gelungen, das Gotteshaus zu retten.
Christliche Aktivisten und lokale Medien hatten nach dem Beginn der Räumung der Islamisten-Protestlager in Kairo am Mittwoch von Attacken auf Kirchen, christliche Schulen und Geschäfte, die Christen gehören, in mehreren Provinzen berichtet. In Malawi in der Provinz Al-Minia wurden nach Angaben von Aktivisten in der Nacht Geschäfte von Christen zerstört und das Auto eines Priesters angezündet.
Angesichts der blutigen Auseinandersetzungen in Ägypten stoppt der weltweit zweitgrößte Haushaltsgeräte-Hersteller Electrolux seine Produktion in dem Krisen-Land. "Wir beobachten die Sicherheitslage und werden dann entscheiden, ob die Leute wieder arbeiten gehen sollen", sagte ein Konzernsprecher am Donnerstag in Stockholm. Am Samstag werde überprüft, ob die Produktion wieder aufgenommen werden könne. Die AEG-Mutter beschäftigt rund 7000 Mitarbeiter in Ägypten. Im vergangenen Jahr setzte das Unternehmen dort rund 232 Millionen Euro um - bei einem Gesamtumsatz von fast 13 Milliarden Euro. (rtr/dpa)
Protestlager in Kairo geräumt