Rom. . Nachdem Italiens Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi am Donnerstag zu einer Haftstrafe von vier Jahren verurteilt worden ist, gibt sich Regierungschef Enrico Letta selbstbewusst und zuversichtlich. Dennoch gefährdet die Verurteilung des Politikers und Medienmoguls die große Koalition in Rom.
„Wir geben jetzt dem Land ein sehr starkes Zeichen, wir leiten eine absolute Trendwende im Bereich der Kultur ein. Wir restaurieren Pompeji, damit wir uns vor der Welt sehen lassen können, wir verschaffen 500 jungen Leuten eine Stelle...“ Als Regierungschef Enrico Letta am Freitag vor die Presse tritt, da scheint es so, als habe das Erdbeben Berlusconi niemals stattgefunden. Einzig über das neue Kulturdekret, beteuert der 46-jährige Sozialdemokrat, habe sein Kabinett an diesem Morgen gesprochen, keiner – also auch nicht die fünf Minister aus Berlusconis „Volk der Freiheit“ – habe das Urteil des Obersten Gerichts erwähnt.
Erst später, auf Nachfragen, sagt Letta ein paar Sätze darüber, dass „jetzt das Wohl des Landes über Einzelinteressen von Personen und Parteien“ zu stehen habe. Dass er aber nicht „um jeden Preis weiterregieren“ wolle, wenn man ihn und die Regierung bewusst verschleiße.
Botschaft aus Trotz und Tränen
Zwölf Stunden zuvor hatte ein anderer seine Fernsehbotschaft losgeschickt, in einer Mischung aus mühsam zurückgehaltener Wut, aus Trotz und Tränen. Vor der Nationalfahne hatte Silvio Berlusconi die „unverantwortlichen, von keinem gewählten“ Richter, diese „schrecklichste aller Gewalten“ gegeißelt, die ihm „in mehr als 50 Prozessen eine Gewalt angetan“ hätten, „die sich keiner vorstellen kann“. Und das ihm, der tausende Arbeitsplätze und Reichtum für Italien geschaffen, „Milliarden und Milliarden an Steuern gezahlt“, Opfer gebracht und sein geliebtes Land „auf der Welt in bester Weise vertreten“ habe. Und jetzt vier Jahre Haft, Verlust des Parlamentsmandats. „Ist dies das Italien, das wir wollen?“
„Wir wollen, dass das Urteil respektiert und die Gesetze angewendet werden.“ Am Abend der historischen Verurteilung Berlusconis war auch Guglielmo Epifani vor die Kameras getreten. Der Chef der sozialdemokratischen Partei, die seit April zusammen mit Berlusconis Partei „Volk der Freiheit“ in Großer Koalition regiert, wollte klarstellen, dass Berlusconi bei der Verteidigung seines Parlamentsmandats auf keine Begnadigung durch den Bündnispartner hoffen darf.
Flankiert von zwei führenden Parteifunktionären sprach Epifani, als wäre auch er ein Richter bei der Urteilsverkündung. Genauso kam das Signal auch bei Berlusconis Partei an, die folgerichtig von einer „unwürdigen Provokation“ sprach – und den Sozialdemokraten exakt das vorwarf, was diese ihrerseits von Berlusconi befürchten: dass sie „der Großen Koalition den Stecker herausziehen“ wollten.
Die bissigste aller Fragen
Die Parteien schieben einander bereits im Voraus die Schuld am erwarteten Scheitern der Großen Koalition zu. Und so versteht sich auch Lettas Bemerkung besser, dass er sich „von keinem verschleißen lassen“ wolle.
Spitzenvertreter – auffälligerweise keine Regierungsmitglieder – aus dem „Volk der Freiheit“ versicherten pausenlos, dass Berlusconi auch in Zukunft ihr „charismatischer“, ihr „von Millionen Italienern geliebter“, „unumstrittener Leader“ bleiben werde – während aus den Reihen der Sozialdemokraten die bissigste aller Fragen kam: „Wollt ihr denn von einem Steuerhinterzieher geführt werden?“ Und in der Mitte steht Regierungschef Letta, der mit seinem jungen, intern offenbar gut harmonierenden Kabinett Italien aus Krise und Massenarbeitslosigkeit führen will.
Und zur Stunde weiß keiner, was Berlusconi wirklich vorhat. Nur eines: Er will seine Erfolgsmaschine „Forza Italia“ neu gründen und sich erneut „um die Mehrheit der Italiener bemühen“. Dass er an der Großen Koalition und an der Regierung Letta festhalten wolle, hat Berlusconi in seiner Ansprache an die Nation am Abend des Urteils nicht wiederholt. Als er im Herbst 2012 die erstinstanzliche Verurteilung wegen seiner Steuerdelikte einfuhr, kündigte er wenig später der Technokraten-Regierung von Mario Monti das Vertrauen auf.