Kairo. .

„Hass verzehrt Ägypten“ und „Wo steckt Mursi?“ titelten die Zeitungen. Weißes Tränengas waberte durch die Straßen, schwarzer Rauch stand am Himmel über der ägyptischen Hauptstadt. Und wieder erlebte Ägypten ein Wochenende der Gewalt – ausgelöst durch das zweite Urteil im Prozess um das Fußballmassaker von Port Said. Mindestens zwei Menschen starben und über 50 wurden verletzt.

Horden Bewaffneter zogen durch die Innenstadt von Kairo und schossen wild in die Luft. Anwohner und Straßenhändler suchten in Panik Schutz in Hauseingängen, andere organisierten sich in Bürgerwehren, um ihre Geschäfte zu schützen. Aufgebrachte Ultras des Fußballclubs Al-Ahly steckten den luxuriösen Club der Polizeioffiziere sowie die Zentrale des ägyptischen Fußballverbands in Brand und plünderten alle Pokale aus den Vitrinen. Der neokoloniale Gebäudekomplex nahe dem Kairo-Tower auf der Insel Gezira brannte völlig aus. Vor dem Parlament und dem Innenministerium nahe dem Tahrir-Platz fuhren Panzer auf, während Polizei und Krawallmacher gestern entlang der Nil-Corniche erneut aufeinander losgingen.

Todesurteile bekräftigt

Tags zuvor hatte der Vorsitzende Richter Sobhi Abdel-Maguid live im Staatsfernsehen die übrigen Urteile im Prozess um die tödlichen Ausschreitungen im Stadion von Port Said verkündet, bei denen vor einem Jahr 72 Menschen ums Leben gekommen waren. Er bekräftigte erneut die bereits am 26. Januar verhängten 21 Todesstrafen und erklärte, alle Verurteilten sollten am Galgen sterben. Weitere fünf Angeklagte bekamen lebenslänglich, zehn wurden zu 15 Jahren Haft verurteilt, darunter der Sicherheitschef der Al-Masry-Gastgeber sowie zwei hohe Polizeiverantwortliche. Neun erhielten Haftstrafen zwischen einem und zehn Jahren. Gegen alle Urteile ist Revision möglich. Die Ultra-Fans in Kairo brachte vor allem in Rage, dass sieben der neun Polizeioffiziere freigesprochen wurden ebenso wie zwei der drei mitangeklagten Fußball-Verantwortlichen aus Port Said. Zusätzlich kamen auch 19 inhaftierte Fans ohne Strafe davon.

In der Mittelmeerstadt, wo sich die Einfahrt zum Suezkanal befindet, blieb die Lage am Wochenende gespannt und unübersichtlich. Unmittelbar nach dem Urteil richtete ein Armeeoffizier auf dem Märtyrerplatz im Zentrum eine kurze Ansprache an die Menge und erklärte, Kampfschiffe der ägyptischen Marine lägen draußen vor Anker. Sollten die Bewohner die Soldaten in der Stadt attackieren, würde die Armee die komplette Kontrolle in Port Said übernehmen. Diese in freundlichem Ton vorgetragene Drohung kühlte die Gemüter offenbar ab. Nach Angaben der Suezkanal-Verwaltung lief der Schiffsverkehr durch die Wasserstraße weiterhin normal. Die Polizei ist seit Freitag komplett aus Port Said verschwunden. Regierungsgebäude, wie der Sitz des Gouverneurs und das ausgebrannte Polizei-Hauptquartier am Märtyrerplatz, werden seitdem von Soldaten gesichert.

Unterdessen hat sich der Großstreik der Polizei auf 10 der 29 Provinzen Ägyptens ausgeweitet. Im Kairoer Stadtteil Dokki skandierten Beamte „Nieder mit dem Innenminister, nieder mit den Muslimbrüdern.“ In Mursis Heimatstadt Zagazig im Nildelta weigerten sich die Uniformierten, weiterhin das Privathaus des Präsidenten zu bewachen. Die Beamten fordern modernere Ausrüstung und Waffen, um sich besser gegen Krawallmacher schützen zu können.

Polizeichef entlassen

Zudem werfen sie Innenminister Mohamed Ibrahim, der der Muslimbruderschaft nahesteht, vor, die Ordnungskräfte für seine politischen Zwecke zu missbrauchen. Präsident Mohammed Mursi schickte daraufhin den Chef der Bereitschaftspolizei, die zum großen Teil aus Wehrpflichtigen besteht und die Hauptlast der Auseinandersetzungen mit den Demonstranten und Gewalttätern trägt, in den Ruhestand.