Brüssel. . Am Montag tritt Kroatien der Europäischen Union bei. Die Erwartungen an Brüssel sind im krisengeschüttelten Beitrittsland gering. Gerade einmal 46 Prozent der Bürger befürwortet den Beitrtt. Für Experten ist die nüchterne Stimmung ein eher gutes Zeichen: So werden Erwartungen nicht enttäuscht.

Es ist noch nicht lange her, da wünschten mehr Kroaten den EU-Beitritt der Türkei als den des eigenen Landes – für die meisten der 4,4 Millionen Bürger des Adriastaates ist die Mitgliedschaft in der EU keineswegs die Erfüllung eines Traums. Gerade mal 46 Prozent befürworten den Beitritt. Vielen ist der Schritt, der in der Nacht zu Montag in Zagreb feierlich begangen wird, nur ein Achselzucken wert.

Kroatien geht es nach vier Jahren Rezession schlecht. Der Neuzugang gehört zu den Staaten, in denen das gespenstische Szenario der „verlorenen Generation“ Formen annimmt. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 18,1 Prozent, bei den Jugendlichen waren im ersten Trimester 2013 knapp 52 Prozent beschäftigungslos gemeldet. Damit rangiert Kroatien in dieser Elends-Liga der EU hinter Griechenland und Spanien auf Platz drei. Viele Gutausgebildete verlassen das Land. Schon mehr als 30 000 haben der Heimat auf der Suche nach einem Job den Rücken gekehrt.

Touristisch auf westlichem Niveau

Mit dem Eintritt in die EU wird das einfacher. Als Unionsbürger kommen die Kroaten in den Genuss der Reise- und Niederlassungsfreiheit. Zudem wird nun das Telefonieren drastisch billiger. Da lässt sich verschmerzen, dass die Kroaten ihren süßen Aperitif „Prosec“ nicht mehr unter dem traditionellen Namen vermarkten dürfen, weil der italienische „Prosecco“ geschützt ist.

Touristisch ist die Eingemeindung längst vollzogen: Britische und deutsche Besucher und Ferienhausbesitzer haben die Preise an der dalmatinischen Küste auf westliches Niveau steigen lassen.

Auch in Zagreb, Split und Dubrovnik hat sich aber herumgesprochen, dass die EU ihrerseits in einer schweren Krise steckt. Mehr als zehn Jahre hat es vom Antrag bis zum Beitritt gedauert, die Illusionen sind längst verflogen. Die kalkulierten Nettozuflüsse aus den EU-Töpfen halten sich in Grenzen: Rund 1,5 Milliarden Euro pro Jahr sind in der Finanzplanung 2014-20 für Kroatien vorgesehen.

Geld fließt nur, wenn detaillierte Programme entwickelt werden

Doch Geld fließt nur, wenn detaillierte Programme entwickelt werden und wenn jeweils ein Eigenanteil geleistet wird. Die tatsächlichen Auszahlungen dürften also niedriger ausfallen. Aus Brüsseler Sicht muss die gedämpfte Begeisterung kein Fehler sein. „Der Mangel an Euphorie heißt: Man sieht die Dinge realistisch“, meint Augustin Palokaj, der den Beitrittsprozess als EU-Korrespondent der kroatischen Zeitung Jutarnji list begleitet hat.“

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Auch auf Seiten der Altmitglieder ist von Überschwang keine Rede. „Du bist herzlich willkommen in unserem Club“, versicherte EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy dem kroatischen Ministerpräsidenten Zoran Milanovic. Aber die Erinnerung an das blutige Ende Jugoslawiens, auf das die EU schließlich mit dem Angebot der „europäischen Zukunft“ für den West-Balkan reagierte, ist verblasst.

Dafür ist allen schmerzhaft bewusst, welche Probleme man sich mit der Massenaufnahme von zehn Staaten 2004/07 ins Haus holte. Besonders Rumänien und Bulgarien gelten als abschreckendes Beispiel wirtschaftlicher Rückständigkeit und schwerer Mängel bei der Demokratie.

Kampf gegen Bestechung

Bei Kroatien bestand Brüssel auf Einhaltung aller Bedingungen in Recht und Verwaltungsstrukturen. Wie weit die Anforderungen in der Praxis erfüllt werden, muss sich noch zeigen. Einen Test hat das Land bestanden: Der frühere Ministerpräsident Ivo Sanader sitzt wegen Korruption für zehn Jahre hinter Gittern – Beweis, dass Kroatien die Forderung beherzigt, der Kampf gegen das Bestechungswesen dürfe auch von den höchsten Instanzen nicht haltmachen.

Deutschland galt lange als Pate des Landes, das jetzt EU-Mitglied Nr. 28 ist. Doch der Beitritt wurde von Irritationen überschattet: Zagreb will einen Ex-Geheimdienstler nicht ausliefern, der in der Bundesrepublik als Hintermann eines politischen Mordes gesucht wird. Kanzlerin Merkel blieb daraufhin den Beitrittsfeierlichkeiten fern.