Brüssel. . Am Montag tritt Kroatien der EU bei, dahinter warten die nächsten Kandidaten. Doch die Erweiterungs-Euphorie früherer Jahre ist verflogen – wegen der Krise, oder weil es um den Südosten geht? Ein Überblick über Länder und Stimmungen.

Die Nord-Erweiterung ist tot, die Ost-Erweiterung erwacht zu neuem Leben. Zwar hat Island nach dem Regierungswechsel die Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union gestoppt. Aber dafür stellt diese sich wieder verstärkt auf Zuwachs im Osten und Südosten ein.

Am Montag stößt Kroatien als 28. Mitglied zum Club, beim Brüsseler Gipfel diese Woche sitzen die Kroaten schon mit am Tisch.

Dort wird noch einmal bestätigt, was auf Ministerebene schon vereinbart ist: Mit der Türkei sollen die Aufnahmeverhandlungen wieder anlaufen, Serbien und das Kosovo rücken auf dem Weg zur Mitgliedschaft jeweils ein Feld weiter vor. Mit Montenegro wird bereits verhandelt, Mazedonien, Albanien und Bosnien-Herzegowina sind mehr oder weniger ungeduldig im Wartestand. Und Stefan Füle, in der EU-Kommission zuständig für das Ressort Erweiterung, richtet den Blick schon hoffnungsvoll auf den äußersten östlichen Rand: Ukraine.

Die Erweiterungseuphorie ist vorbei

Es tut sich also allerhand. Von Erweiterungseuphorie ist dennoch keine Rede. Nach dem Masseneintritt von zehn Ländern 2004/2007 ist die Stimmung immer skeptischer geworden, nicht nur in Deutschland, wo 74 Prozent der Bürger gegen einen weiteren Neuzugang sind.

Berichte über Korruption, organisierte Kriminalität, Gängelung der Presse, Stimmenkauf und politisches Tohuwabohu prägen die Nachrichten vom Westbalkan. Rumänien und Bulgarien wurden zum abschreckenden Beispiel: Nie wieder dürfe man Länder aufnehmen, die noch nicht hundertprozentig die Anforderungen erfüllen.

Die Krise nährte den Argwohn

Die Finanzkrise hat den Argwohn verstärkt, den vergleichsweise armen Beitrittsaspiranten gehe es vor allem um Zugang zu den Brüsseler Fleischtöpfen. Auf der anderen Seite gibt es zwei Lager unter den EU-Staaten, die auf Fortsetzung der Erweiterung drängen: Die Neumitglieder der letzten Runde, aus Gruppensolidarität, und die nördlichen Länder wie Großbritannien, Schweden und Dänemark, die in der EU in erster Linie einen reinen Wirtschaftsverbund sehen.

Und hier sind das Neumitglied und die Anwärter im Überblick:

Kroatien

Mit dem Adria-Land und seiner spektakulären Küste bekommt die EU am kommenden Montag einen touristisch und kulturell erstklassigen Zuwachs. Wirtschaftlich und politisch sieht es anders aus: Die gut vier Millionen Kroaten erleben das fünfte Jahr der Rezession, die Arbeitslosigkeit liegt bei gut 20 Prozent, unter den Jungen findet jeder Zweite keinen Job.

Aus der EU-27 wird am 1. Juli die EU-28
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Von der einst mit Staatsgeld gepäppelten Werftindustrie überlebt nur ein kümmerlicher Rest.

Im Verhältnis zum traditionellen Freund Deutschland ist der Start in die Vollmitgliedschaft belastet: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihre Teilnahme an der Feier in Zagreb abgesagt.

Hintergrund ist offenbar die Weigerung Kroatiens, den früheren Geheimdienstler Josip Perkovic auszuliefern, der vor 30 Jahren die Ermordung eines regimekritischen Landsmannes in München organisiert haben soll.

Türkei

Der ewige Kan­didat: Zum ersten Mal wurde die Türkei 1964 als künftiges Mitglied eingestuft. 2005 begannen die Verhandlungen, seit 2010 treten sie auf der Stelle. Jetzt soll es im Herbst vorsichtig weitergehen – wenn sich Premier Erdogan bis dahin beim Umgang mit den Straßenprotesten einigermaßen zivil verhält. Doch die grundsätzlichen Vorbehalte gegen das Land, das 2050 mehr (ganz überwiegend muslimische) Einwohner haben dürfte als die Bundesrepublik, sind groß.

„Angesichts der Größe des Landes und seiner Wirtschaftsstruktur wäre die Europäische Union überfordert“, heißt es im CDU-Wahlprogramm. Deswegen lehne man die Vollmitgliedschaft ab. CDU-Chefin Merkel verhandelt als Kanzlerin angeblich „ergebnisoffen“. Aber auch am Bosporus ist nach mehrjährigem wirtschaftlichen Aufschwung die Mehrheit der Bürger nicht mehr geneigt, sich den Mühen der EU-Qualifikation zu unterziehen.

Serbien

Die offiziellen Beitrittsgespräche sollen spätestens im Januar 2014 anlaufen. Länger als fünf Jahre sollen sie nicht dauern, sagt Premier Ivica Dacic. Vor der tatsächlichen Mitgliedschaft verlangt Kanzlerin Merkel aber die „vollständige Normalisierung der Beziehungen zum Kosovo“.

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Belgrad und Pristina haben auf Druck durch die EU eine Vereinbarung geschlossen, die jetzt umgesetzt werden soll. Die rund 7,2 Millionen Serben haben eine leistungsfähigere Verwaltung und bessere Infrastruktur als die meisten Balkan-Nachbarn. In Sachen Rechtsstaatlichkeit und Korruption sind sie indes genauso weit von EU-Standards entfernt.

Kosovo

Die EU ist der Geburtshelfer der früheren serbischen Provinz, die sich 2008 für unabhängig erklärte. Auf längere Sicht sollen beide Länder in die Union aufgenommen werden. Doch trotz massiver EU-Hilfe hängt das Kosovo wirtschaftlich und politisch weit zurück.

Brüssel bemängelt, Pristina habe Korruption und Mafia nur unzureichend unter Kontrolle. Schmuggel, Drogen und Menschenhandel sind Hauptgeschäftsfelder der organisierten Kriminalität. Die Presse wird drangsaliert, klagt der Chef der Zeitung „Koha Ditore“. Doch Brüssel hofiere die politische Führung: „Ihr macht sie nicht zu besseren Demokraten, ihr gebt ihnen freie Hand!“

Ukraine

Als die Führer der „orangenen Revolution“ 2005-2010 die Macht im Lande hatten, schien die Ukraine auf direktem Kurs in die EU. Mittlerweile regiert der Moskau-Freund Viktor Janukowitsch die 46 Millionen Einwohner, Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko sitzt im Gefängnis, und die EU zögert aus Protest mit der Unterschrift unter das fertig ausgehandelte Partnerschaftsabkommen.

Doch für die Energieversorgung der EU ist Kiew von strategischer Bedeutung, sagt Erweiterungskommissar Füle. Und der Präsident der Orange-Zeit, Viktor Juschtschenko, drängt Brüssel, die EU-Perspektive nicht vom Fall Timoschenko abhängig zu machen.