Türkei, Iran und Ägypten, alle drei Staaten werden inzwischen unter dem Banner des politischen Islam regiert. Doch wie staatsfähig und demokratietüchtig ist der politische Islam – der alte von Ali Khameneis Islamischer Republik, der mittlere von Recep Tayyip Erdogans Türkei und der neue von Mohammed Mursis Ägypten?

Spektakuläre Bürgerrevolten in der Türkei, dumpfe Friedhofsruhe im Iran zu den Präsidentenwahlen, eskalierender Kulturkampf in Ägypten – so unterschiedlich die in dieser Woche simultan aufblitzenden Konflikte in den drei größten Nationen des Nahen Ostens erscheinen, so gemeinsam sind ihre Wurzeln. In der Türkei wollen sich die Menschen das autoritär Bevormundende ihrer frommen Herrscher nicht länger gefallen lassen. Irans politische Klerikerkaste kann seine junge, frustrierte Bevölkerung nur noch mit einem beispiellosen Polizeistaat in Schach halten. Und Ägypten ist seit dem Verfassungscoup von Muslimbrüdern und Salafisten vor einem halben Jahr so tief gespalten, als wenn seine säkularen und frommen Bewohner nicht mehr länger in einer Nation zusammenleben wollten.

Türkei, Iran und Ägypten, alle drei Staaten werden inzwischen unter dem Banner des politischen Islam regiert. Doch wie staatsfähig und demokratietüchtig ist der politische Islam – der alte von Ali Khameneis Islamischer Republik, der mittlere von Recep Tayyip Erdogans Türkei und der neue von Mohammed Mursis Ägypten? Wie tolerant und plural kann eine islamische Führung agieren, die sich in Politik, Kultur und Privatleben Allahs geoffenbarten Wahrheiten verpflichtet fühlt? Und wer garantiert dann Andersdenkenden und Andersgläubigen den Raum für ihre Lebensstile, Frauenbilder und Familienideale?

Bisher jedenfalls ist die Bilanz ausgesprochen trübe. Nirgendwo auf der Welt hat der politische Islam bisher belegt, dass er für offene Gesellschaften und stabile demokratische Verhältnisse sorgen kann. Nirgendwo sitzen mehr Journalisten im Gefängnis als in der Türkei und dem Iran, selbst im viel gescholtenen China nicht. Nirgendwo existiert eine produktive Koexistenz zwischen islamistischen Machthabern und säkularer Zivilgesellschaft. Ägyptens geplantes NGO-Gesetz verrät vor allem tiefes Misstrauen. Und die harten Gefängnisurteile gegen dutzende Mitarbeiter politischer Stiftungen kamen den islamistischen Machthabern am Nil gerade Recht.

Denn im Staatsverständnis von Islamisten sind die Grenzen zwischen Staatsverantwortung und religiöser Agenda fließend. Staat und Religion werden verquickt und politisiert, die Bürger erleben das als permanente Invasion in ihr öffentliches Dasein und persönliches Leben, als einen erzwungenen Trend zu militanter Eindeutigkeit, kultureller Monotonie und Ausgrenzung von Minderheiten. Erschwerend kommt hinzu, dass Machtbesitz in der politischen Kultur des Orients immer schon als Nullsummenspiel begriffen wurde. Wer am Hebel sitzt, drückt den anderen so hart an die Wand, wie er nur kann. Kompromisse zum Vorteil beider Seiten oder Rücksicht auf berechtigte Interessen des Gegenübers existieren in diesem Denken nicht, ganz zu schweigen von echtem Minderheitenschutz oder Machtverzicht mit Rücksicht auf das Gemeinwohl. Und so wollen auch die frommen Herren des politischen Islams einfach nicht begreifen, dass Stimmenmehrheit und Wahlsieg sie nicht automatisch legitimiert, sich nach und nach jeden Winkel der Gesellschaft zu unterwerfen.

Für die westlichen Staaten wird das Klima im Umgang mit diesen Staaten zweifellos rauer und unangenehmer, wollen sie weiterhin an der Seite säkularer Bevölkerungsteile dem wachsenden islamistischen Hegemoniestreben entgegentreten. Immer aggressiver verteufeln deren Protagonisten Grundwerte wie Pluralität, universale Rechte und tolerantes Kulturverständnis als aus Europa und Amerika importierten Unrat. Eigene Mitbürger, die diese Werte hochhalten, sehen sich ins Gefängnis geworfen, vor Gerichte gezerrt oder als ausländische Spione denunziert. Dieses aggressive Sperrfeuer jedoch darf nicht irritieren. Egal ob in der Türkei, dem Iran oder Ägypten - der Kampf um das künftige Antlitz der Gesellschaften ist keineswegs entschieden. Darum ist es so wichtig, sich weiterhin einzumischen an der Seite derer, die für ihre Freiheitsrechte kämpfen und gegen die alles erstickende islamistische Gängelung.