Berlin. Dass es "gravierende Lücken" im Verbraucherschutz gibt, darin sind sich Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) einig. Um der Nachfrage gerecht zu werden, müsse die Anzahl der Beratungsstellen verdoppelt werden, forderte der vzbv.
Verbraucherschützer haben angesichts der Finanz- und Wirtschaftskrise eine Verdoppelung der unabhängigen Beratungsstellen hierzulande gefordert. Eine unparteiische Beratung müsse für alle Haushalte verfügbar und erreichbar sein, sagte der Vorsitzende des Verbraucherzentrale Bundesverbandes (vzbv), Gerd Billen, am Dienstag in Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) beklagte «gravierende Lücken» im Verbraucherschutz.
Familien im Mittelpunkt
Die Verbraucherzentralen würden der vielen Anfragen und Themen nicht mehr Herr, sagte Billen. Die Wirtschaftskrise werde dazu führen, dass sich Verbraucher noch mehr Fragen stellen müssten - etwa, ob sie angesichts von Arbeitslosigkeit ihre Lebensversicherung kündigen sollten. Haushalte mit einer unabhängigen Finanzberatung hätten einen erheblichen finanziellen Vorteil.
Besonders unzufrieden mit den «Kehrseiten der Konsumwelt» seien Familien, sagte Billen. Ihre Bedürfnisse und Interessen - vom Spielzeugkauf bis zur Pflegeversicherung - standen deshalb im Mittelpunkt des Deutschen Verbrauchertages am Dienstag.
Der vzbv forderte dort mehr Wettbewerb im Energiemarkt, verständliche Informationen im Supermarktregal und verlässliche Prüfungen beim Spielzeugkauf. Bei rund 2600 Anbietern von Telekommunikationsdiensten, 15.000 Stromtarifen oder 11.000 ambulanten Pflegediensten seien Familien bei ihren Entscheidungen zunehmend überfordert, sagte Billen. Politik und Wirtschaft müssten die Bedürfnisse und Interessen der Familien stärker berücksichtigen.
Verdopplung der Beratungsstellen gefordert
Jeder Cent, der in die unabhängige Unterstützung von Verbrauchern fließe, «spart Zeit, sorgt für mehr Vertrauen und bessere Entscheidungen», betonte Billen. In jeder größeren Stadt und in jedem Landkreis müsse es eine Anlaufstelle für Verbraucher mit mindestens vier Mitarbeitern geben, forderte der vzbv-Chef.
Er appellierte an Bundesregierung, Länder, Kommunen und auch Unternehmen, die Zahl der Beratungsstellen von derzeit 190 auf rund 400 zu verdoppeln. Damit könnte ein Fünftel aller Haushalte jährlich wohnortnah eine persönliche Beratung in Anspruch nehmen. Der Ausbau der Beratung würde laut Verband 245 Millionen Euro im Jahr kosten.
Bislang gibt der Staat nach Angaben des vzbv pro Einwohner 39 Cent für die Aufgaben der Verbraucherzentralen aus, viele Beratungsstellen seien daher nur mit einem Mitarbeiter besetzt. Die Kapazitäten zur Beratung von Familien in Finanzfragen reichten nur für 55.000 der 40 Millionen deutschen Haushalte - also für gerade einmal 0,14 Prozent. 2007 informierten sich laut vzbv Verbraucher rund 24 Millionen Mal bei den Verbraucherzentralen, drei Millionen berieten deren Mitarbeiter die Verbraucher persönlich, telefonisch oder schriftlich.
Merkel: Die Krise deckt Beratungslücken auf
Merkel beklagte in einer Rede auf dem Verbrauchertag, die Finanzkrise habe «gravierende Lücken im Verbraucherschutz deutlich gemacht». «Viele Anlageentscheidungen entsprachen wegen unzureichender oder schlechter Beratung nicht den Erwartungen oder der Lebenssituation der Anleger.» Diese Verbraucher müssten nun in der Lage sein, ihre Ansprüche wegen Falschberatung geltend zu machen, forderte die Kanzlerin.
Merkel versprach, Verbraucherpolitik stehe im «Zentrum politischer Verantwortung», machte aber keinerlei konkrete Zusagen mit Blick auf die Forderungen der Verbraucherschützer. An die Unternehmen appellierte sie, gerade ältere Menschen stärker in den Blick zu nehmen. «Sie sind eine Gruppe von sehr kaufkräftigen, dezidierten und immer entscheidungsfreudiger werdenden Konsumenten. « Gleichzeitig bräuchten aber gerade ältere Menschen häufig mehr und genauere Informationen über die ihnen angebotenen Produkte. (afp)