Rhein/Ruhr. . Erst hui, jetzt pfui: Vor einem Monat das Loblied auf vermeintlich saubere Badeseen in NRW. Und plötzlich warnen Naturschutzverbände vor der schlechten Wasserqualität. Wie das zusammengeht? Durch völlig unterschiedliche Bewertungsmuster. Das Wassernetz NRW fordert eine rigorose Anwendung des Verursacherprinzips.

Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) beurteilt Badeseen nach der NRW-Badegewässerverordnung. Die orientiert sich eng an einer EU-Richtlinie von 2006. Und die fällt eher allgemein aus. Labortechnisch werden Badegewässer auf die Darmbakterien „Intestinale Enterokokken“ und „Escherichia coli“ untersucht. Darüber hinaus wird geprüft, was mit bloßem Auge sichtbar ist: Algenwachstum, Verschmutzungen durch Glas, Plastik, Gummi oder andere Abfälle.

„Solche Badegewässer-Berichte sind mit Vorsicht zu genießen“, sagt Christian Schweer vom Wassernetz NRW, einem Umweltnetzwerk der drei großen Naturschutzverbände. „Nicht einmal ein Prozent aller Gewässer werden da berücksichtigt – und auch nicht, wie es dem Fisch im Wasser geht.“ Deshalb hätten solche Bade-Eignungstests „wenig Aussagekraft“.

Das Wassernetz NRW schaut mit Sorge auf sämtliche Wasseradern im Lande, auf rund 50 000 Kilometer Fließgewässer. Die sollten nach den Vorschriften der weitaus strengeren EU-Wasserrahmenrichtlinie geschützt werden. Werden sie aber nicht, beklagt das Öko-Bündnis. „Unseren Gewässern geht es schlecht“, sagen die Naturfreunde. „Mehr als 80 Prozent der Flüsse“ seien in einem miserablen Zustand, „jedes dritte Grundwasser in NRW durch Nitrate so verunreinigt, dass die Grenzwerte nicht eingehalten werden“. Selbst in Wasserschutzgebieten würden „weiterhin die Nitrat-Grenzwerte deutlich überschritten“.

Immer mehr Giftstoffe, Biozide, Pestizide und Chemikalien im Wasser

Von den EU-Zielvorgaben für 2015 seien bis 2012 „allenfalls fünf Prozent“ umgesetzt worden. Zwei Drittel der Kommunen in Südwestfalen hätten „kaum etwas beziehungsweise nichts“ gemacht. Die Folgen: immer mehr Giftstoffe, Biozide, Pestizide und Chemikalien im Wasser; immer weniger Überblick. Fazit des Öko-Bündnisses: „Die Vorgaben des Gewässerschutzes wurden flächendeckend verfehlt, zu Lasten von Mensch und Natur.“ NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) sagt: „Gerade bei den Belastungen mit Mikroschadstoffen, wie Arzneimittel und Pestizide, sind wir erst am Anfang.“

Gravierende Lücken sehen die Verbände bei der Gewässerüberwachung. Ein Schwachpunkt: die Messstationen. Viele seien schlicht falsch postiert; an zahlreichen Punkten würde zu selten – und dann auch noch zu falschen Zeiten – nach zu wenigen Stoffe gesucht. „Die Pestizid-Einträge werden nicht ausreichend erfasst, weil nicht engmaschig im Zeitraum der Anwendung gemessen wird.“

Und Besserung sei nicht in Sicht. „Spätestens seit 2012 hätten Land und Kommunen alles unternehmen müssen, damit etwa die Land-, Bau- und Energiewirtschaft erträglich mit Gewässern umgeht“, sagen die Umweltverbände. Das Gegenteil sei der Fall. Zahllose „nicht-berichtspflichtige Gewässer“ wie Bäche, Gräben und kleine Seen seien Giften unmittelbar ausgesetzt. „Da wird der Boden bis zur Bachkante beackert“, sagt Christian Schweer. Biozide und andere Stoffe gelangten so quasi direkt ins Wasser.

Netzwerk fordert eine rigorose Anwendung des Verursacherprinzips

Das Netzwerk fordert eine rigorose Anwendung des Verursacherprinzips. Wer Gifte in Flüsse leite, müsse „den größten Teil der Rechnung zahlen“. Die Kommunen sollten kaum zur Kasse gebeten werden. Selbst „eine Förderung von 100 Prozent“ durch das Land sei angemessen, um wirksame Maßnahmen zu beschleunigen.

Remmel verweist auf Initiativen. Land und Kommunen hätten „seit vielen Jahren massiv in moderne Kläranlagen investiert“. Abwasserkonzepte würden „bis hin zur Schließung von innerbetrieblichen Wasserkreisläufen“ gefördert. Die Programme „Reine Ruhr“ und „Lebendige Gewässer“ sowie ein NRW-Vorstoß zur Novellierung des Düngegesetzes und der Düngeverordnung im Bundesrat seien angestoßen. Und die Aufrüstung veralteter Wasserwerke sorge bald für besser aufbereitetes Trinkwasser, vor allem an der mittleren Ruhr.