Ruhrgebiet. Die Wasserwerke an der Ruhr sind sich sicher: Das Trinkwasser ist nicht gesundheitsgefährdend. Doch eine solche Entwarnung wollen nicht alle Experten unterzeichnen. Der Chef der Trinkwasser-Kommission, Prof. Martin Exner, sieht dafür keine Grundlage. Er sagt: Es muss nachgebessert werden.

Eine öffentliche Erklärung, mit der die Arbeitsgemeinschaft der Wasserwerke an der Ruhr (AWWR) die schäumende Biozid-Welle brechen wollte, droht sie nun in den Strudel hinein zu reißen.

AWWR-Chef Christoph Donner hat gesagt: „Eine Gesundheitsgefährdung über das Trinkwasser besteht nicht.“ Und er hat zwei Bürgen dafür benannt: NRW-Umweltminister Johannes Remmel (Grüne) und den Chef der deutschen Trinkwasserkommission, Prof. Martin Exner. Beide hätten die Unbedenklichkeit des Ruhr-Trinkwassers „unabhängig voneinander bestätigt“, behauptet Donner. Doch beide fühlen sich missverstanden. Er habe „derzeit keine Hinweise“ auf Grenzwertüberschreitungen, lässt Remmel ausrichten. Und Exner geht offen auf Distanz. Was die AWWR sage, könne derzeit niemand seriös behaupten, folglich auch „nicht bestätigen“.

„Voraussetzung dafür ist der Ausschluss gesundheitsrelevanter Konzentrationen von Bioziden im Trinkwasser“, sagt Exner. Und dieser Ausschluss sei nur möglich, wenn „sämtliche vorliegenden Bioziddaten bewertet werden“. Das ist bisher definitiv nicht der Fall.

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19 Mitgliedsunternehmen zählt die AWWR, einheitliche Prüflisten oder Prüfintervalle haben die Wasserversorger nicht. Beispiele: Nach eigenen Angaben untersuchen die Stadtwerke Arnsberg ihr Trinkwasser „einmal pro Jahr“, die AVU Wetter-Volmarstein „zweimal pro Jahr“, das Verbund-Wasserwerk Witten „viermal pro Jahr“, die Stadtwerke Bochum „mindestens zehnmal pro Jahr“, die Wasserwerke Westfalen „monatlich“, Gelsenwasser „mindestens monatlich“.

Untersuchungen sind äußerst unterschiedlich

Ebenso unterschiedlich sind die Untersuchungspaletten. Die Stadtwerke Arnsberg und Brilon überprüfen 58 Wirkstoffe im Trinkwasser. Gelsenwasser, Wasserwerke Westfalen, Stadtwerke Essen und Bochum untersuchen je 38 Wirkstoffe, und zwar die gleichen. Die Wasserversorger in Witten und Wetter-Volmar­stein testen „aus der Stoffgruppe der Biozide“ nach eigenen Angaben „die Stoffe Isoproturon und Diuron“.

AWWR-Mitglieder orientieren sich an Vorgaben der Trinkwasserverordnung und der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie. Das reiche nicht, warnt Exner. Diese Vorgaben enthielten nur „einen Ausschnitt an Parametern, der aber nicht vollständig ist“ und keine Sicherheit für ein biozidfreies Trinkwasser biete.

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Laut AWWR-Chef Donner gibt es „nur einzelne Befunde“ von Bioziden, und zwar an den Messstellen Mülheim und Fröndenberg, aber „keine Hinweise auf eine akute Belastung der Ruhr“. Messdaten des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv), die dieser Zeitung vorliegen, dokumentieren rund 160 Grenzwertüberschreitungen im Oberflächenwasser der Ruhr in den letzten 20 Jahren. An rund 20 Messstellen sprengten dabei 28 verschiedene Biozidwirkstoffe das Limit. Ende der 90er-Jahre wurde ein Grenzwert um das 2500-fache überschritten. Jüngere Ausschläge fallen deutlich moderater aus, kamen aber bis 2012 vor.

„Was kommt von den Bioziden im Trinkwasser an? Diese Frage müssen die Wasserversorger beantworten“, so Fachmann Exner. Er regt Expertenkommissionen an. Ziel müsse sein, „dass der Verbraucher das Vertrauen hat“ in ein biozidfreies Trinkwasser. Auch die technische Aufrüstung mangelhafter Wasserwerke sei Pflicht. Denn: Unter Bioziden gebe es „Wirkstoffe, die durch klassische Aufbereitungsverfahren nur bedingt deutlich zu minimieren sind“.