Düsseldorf. Der deutsche Arbeitsmarkt hat im EU-Vergleich einen großen Niedriglohn-Sektor. Rund acht Millionen Arbeitnehmer verdienen nach einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung weniger als 9,15 Euro pro Stunde. Schulden-Krisenländer wie Portugal, Spanien oder Italien liegen weit hinter Deutschland.
Bei der Größe des Niedriglohn-Sektors liegt Deutschland in der Europäischen Union im oberen Drittel auf Platz 7. In der Bundesrepublik beziehen demnach 22,2 Prozent der Arbeitnehmer einen geringeren Stundenlohn als 9,15 Euro, wie die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung am Montag mitteilte. Das sind rund acht Millionen Arbeitnehmer. Die Forscher beziehen sich auf Zahlen der aktuellsten EU-Lohnstrukturerhebung mit Daten aus dem Jahr 2010.
Vor Deutschland liegen Lettland (27,8 Prozent), Litauen (27,2), Rumänien (25,6), Polen (24,2), Estland (23,8) und Zypern (22,7). Der EU-Schnitt liegt bei 17,0 Prozent. Weit hinten rangieren Dänemark (7,7), Frankreich (6,1), Finnland (5,9) und Schweden (2,5). Griechenland fehlt in der Statistik, weil keine Daten vorlagen. Portugal liegt mit 16,1 Prozent auf Platz 17, Spanien mit 14,7 Prozent auf Platz 19 und Italien mit nur 12,4 Prozent auf Platz 21.
Mehr als ein Fünftel der Arbeitnehmer verdienen zu wenig
Laut Thorsten Schulten vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung setzen die Forscher die Niedriglohnschwelle in Deutschland bei 9,15 Euro an, weil der Verdienst darunter weniger als zwei Drittel des mittleren Stundenlohns entspreche. Deutschlands Platz 7 aus dem Jahr 2010 muss allerdings nicht mehr der aktuellen Situation entsprechen.
"Durch die Krise und die harte Sparpolitik in Südeuropa mag sich die Situation dort seit 2010 verschlechtert haben", sagt Schulten. Aber das ändere nichts daran, so der Forscher, dass Deutschland einfach nicht damit zufrieden sein könne, dass hier mehr als ein Fünftel der Arbeitnehmer so gering bezahlt werden.
In Schweden bekommen mehr als 90 Prozent der Arbeitnehmer Lohn nach Tarif
Beim Europavergleich sieht WSI-Forscher Schulten einen Zusammenhang zwischen hoher Tarifbindung und selteneren Niedriglöhnen. Beispiel Schweden: Dort seien knapp 70 Prozent der Beschäftigten in einer Gewerkschaft organisiert. Für mehr als 90 Prozent der Arbeitnehmer gelten Tarifverträge.
Ob der Niedriglohn-Sektor schrumpft oder wächst, ist laut Schulten aktuell nur schwer zu beurteilen. Das Statistische Bundesamt habe im vergangenen Jahr für den Zeitraum von 2006 bis 2010 eine Zunahme vermeldet. Das Institut für Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Uni Duisburg-Essen berechnete für 2007 bis 2010 eine Stagnation, bzw. sogar einen leichten Rückgang.